Frankreich : Vom Kampf um Stimmen und Minuten
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Nach der Wahl ist vor der Wahl: Sarkozy am Montag in Paris Bild: dapd
Nach der ersten Wahlrunde stimmen Nicolas Sarkozy und François Hollande ihre Anhänger auf die kommenden zwei Wochen ein. Der Präsident adressiert sich deutlich an die Wähler Le Pens.
Charlie Chaplin nahm hier Filmmusik auf, Jacques Brel gab hier sein letztes Konzert, und der französische Boxer Marcel Cerdan (Spitzname: „Der marokkanische Bomber“) gewann hier einige seiner wichtigsten Kämpfe. Nun hat sich die Präsidentenpartei UMP das Maison de la Mutualité, das Haus des Genossenschaftswesens, im fünften Arrondissement von Paris als Ort ausgesucht, um den Ausgang der ersten Runde der Präsidentenwahl zu feiern.
Wenn das als Anspielung auf die Boxkämpfe der dreißiger und vierziger Jahre gedacht war, so hat der UMP-Kandidat Nicolas Sarkozy die erste Runde nach Punkten verloren - seine Anhänger können sich am Ende eines anstrengenden Abends nur damit trösten, dass Sarkozy ein K.O. in Form eines großen Rückstandes zum sozialistischen Herausforderer François Hollande vermeiden konnte und sich zumindest rechnerisch noch seine Siegchance für die zweite Runde am 6. Mai erhalten hat.
Anstrengend ist der Abend schon deshalb, weil sich die UMP-Anhänger immer wieder Mut zurufen müssen. Um 20 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten offiziellen Ergebnismeldung, erscheinen auf den großen Leinwänden vor den rund 2000 überwiegend jungen Anhängern zwei höchst unterschiedliche Ergebnisse. Der staatliche Fernsehsender France 2 stuft Sarkozy bei 25,5 Prozent und Hollande bei 28,4 Prozent ein. TF 1, der führende Privatsender in der Hand des Sarkozy-Freundes Martin Bouygues, schätzt Sarkozy dagegen auf 27 Prozent und Hollande auf 28,6 Prozent, also ein deutlich kleinerer und aufholbar wirkender Abstand. Aus der Geräuschkulisse ist da schwer herauszuhören, ob empörte Pfiffe oder siegesgewisse Zurufe überwiegen. Die Stimmung wird erst besser, als nach und nach die Parteigranden vor der Bühne entlang schreiten, zuerst Premierminister François Fillon, dann der Parteivorsitzende François Copé. „Die Umfrageinstitute sagten uns voraus, wir würden weggefegt. Sie haben sich alle getäuscht“, ruft Copé dem inzwischen jubelnden Publikum zu. „Bisher kämpften neun Kandidaten gegen einen, jetzt wird es einer gegen einen. In den nächsten zwei Wochen werden wir so vereint und engagiert sein wie noch nie.“
„Ich kenne ihre Ängste, ihr Leiden.“
Zwischendurch legen sich Jubel und Beifall jedoch immer wieder, zumal die Präzisierung der Wahlergebnisse im Laufe des Abends kaum Zuwachs für Sarkozy bringt. Der UMP-Spitzenkandidat verzögert seinen Auftritt denn auch bis 21.45 Uhr, um Gewissheit über die Stimmanteile zu haben. Als er endlich die Bühne betritt, wogt endlich auch das Fahnenmeer. Am lautesten wird es, als der Präsident von seinem Gegner Hollande drei Fernsehdebatten fordert. Denn Sarkozy ist der Ansicht, dass der Sozialist den Franzosen bittere Wahrheiten vorenthält, so die notwendige drastische Kürzung der Staatsausgaben. Der Präsident hält sich zudem für den besseren Kandidaten in öffentlichen Debatten.
Sarkozy adressiert sich deutlich an die Wähler von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des rechtspopulistischen Front National. „Ich kenne ihre Ängste, ihr Leiden. Ich verstehe sie“, sagt er. „In einer Welt, die sich so schnell bewegt“, müssten die Antworten der Politiker im „Respekt unserer Grenzen, im entschiedenen Kampf gegen die Standortverlagerungen der Unternehmen, in der Kontrolle der Einwanderung, in der Wertschätzung der Arbeit und in der Sicherheit“ gefunden werden. Mehrmals unterbrochen von Beifall, spricht Sarkozy rund sechs Minuten lang. Danach kühlt sich die Stimmung jedoch rasch wieder ab, die Leute verlassen zügig den Saal - „jede Minute“ zähle für den Wahlkampf, hatte ihnen Copé zugerufen.
François Hollande kommentiert seine 28,63 Prozent der Stimmen in der ersten Runde ohne Überschwang: „Meine Spitzenposition ehrt und verpflichtet mich“, sagt er in einer Ansprache in seiner Wahlheimat Tulle, die auf allen Fernsehsendern übertragen wird. Die Franzosen, führt Hollande in nüchternem Tonfall fort, hätten ihm erlaubt, „heute der Bestplatzierte zu sein, um Staatspräsident zu werden“. Diese Worte haben seine Anhänger im Sitz der Sozialistischen Partei in der Rue de Solférino in Paris da schon lange ersehnt: Zunächst war der Auftritt für 20.30 Uhr angekündigt worden. Als Hollande um 21.15 Uhr auf den Bildschirmen erscheint, ist der Jubel umso größer. Auf der Straße vor dem Parteisitz schwenken die Anhänger Fahnen und klatschen, sobald sie einen „Elefanten“ erspähen, wie die Sozialisten ihre altgedienten Parteipersönlichkeiten nennen; Ségolène Royal, die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin der vergangenen Wahlen, ist einer der Stars des Wahlabends. Lange hält sich das Gerücht, François Hollande werde selbst in die Parteizentrale kommen, in der er mehr als zehn Jahre den Chefsessel besetzte. Doch zieht er es vor, in seinem Wahlkampfhauptquartier in der Avenue de Ségur zusammen mit seinem Redenschreiber Aquilino Morelle an seiner Wahlerklärung für den zweiten Wahlgang zu feilen. „Am 6. Mai will ich einen Sieg, einen schönen Sieg auf der Höhe Frankreichs, auf der Höhe unserer Geschichte und unserer Zukunft“, sagt Hollande - da klingt er dann doch fast begeistert.
Gleich am Montag fliegt er in die Bretagne, zu Wahlkampfauftritten nach Quimper und Lorient. „Jede Stimme zählt“, sagt sein Kommunikationschef Manuel Valls, „wir wollen die Wähler des Front National nicht kampflos der Rechten überlassen.“ Sarkozys Forderung nach drei Fernsehdebatten weist Hollande indes zurück: Es gebe keinen Grund von der Tradition einer einzigen Fernsehdebatte abzuweichen.