Frankreich : La République en rose
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Am Tag danach: Hollande am Sitz der Sozialistischen Partei Bild: REUTERS
François Hollande hat nicht lange Zeit, seinen Sieg bei der Präsidentenwahl auszukosten, und Nicolas Sarkozy findet bei seinem Abschied staatstragende Worte: Frankreich und der Machtwechsel.
Der „Président normal“ hat das gemacht, was ein normaler Mensch nach einer viel zu kurzen Nacht auch machen würde: Er hat ausgeschlafen. Das war das einzige, was sich François Hollande, der designierte siebte Präsident der Französischen Republik, am Tag nach seinem Wahlsieg gönnte. Der Gnadenstand, wie die Franzosen die ersten Monate ihres Bürgerkönigs im Elysée-Palast nennen, ist für ihn kurz. Das bekam er am Montagvormittag zu spüren, als er in seinem Wahlkampfhauptquartier in der Avenue de Ségur ankam. Er muss eine Regierungsmannschaft auswählen, die ersten internationalen Termine vorbereiten, sich in die Rolle des Präsidenten einfinden. Schon an diesem Dienstag wird Hollande an der Seite des scheidenden Präsidenten Nicolas Sarkozy an der Zeremonie zum Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 unter dem Triumphbogen teilnehmen.
Den Glückwunschtelegrammen und -anrufen der Staats- und Regierungschefs aus aller Welt kann der 57 Jahre alte Sozialist entnehmen, dass er sehr schnell in einer von der europäischen Staatsschuldenkrise und internationalen Krisenherden - ob in Syrien, Afghanistan oder der Ukraine - geprägten Realität ankommen muss. Die Akkordeonklänge von Edith Piafs „La vie en rose“, mit denen er sich vom Kathedralenplatz in Tulle am Wahlabend verabschiedete, hallten wie eine trügerische Verheißung nach.
Das Leben in rosa sehen, das würden viele der Franzosen gern, die Hollande mit ihrer Stimme den Weg zum Sieg ebneten. Laut dem Marktforschungsinstitut Ipsos waren das mehrheitlich Männer und Frauen unter 60, besonders viele Erstwähler, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Arbeiter und Angestellte - jene Einkommensschichten, die den mittleren und unteren Teil der Pyramide bilden. Von den Erwartungen, die auf ihm lasten, schien Hollande am Sonntagabend fast wie erdrückt. „Ich ermesse die Ehre, die mir zuteil wird, und die Herausforderung, die mich erwartet“, sagte er.
Auf dem Place de la Bastille drängen sich in diesem Moment schon dicht an dicht die Anhänger, die in Hollandes Wahl einen Befreiungsschlag sehen. Sie feiern das Ende der Ära Sarkozy, glauben, dass der Modernisierungs- und der Anpassungsdruck jetzt einem in Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und Brüderlichkeit geeinten Frankreich weichen werden. Zigtausende strömen bis spät in die Nacht aus den Metroschächten und über die großen Avenuen zu dem geschichtsträchtigen Platz, wo einst mit dem Sturm auf Bastille-Gefängnis die Französische Revolution ihren Ausgang nahm.
Viele unter ihnen bekunden, den „historischen Moment“ erleben zu wollen: die zweite Wahl eines Sozialisten ins höchste französische Staatsamt nach François Mitterrand im Mai 1981. Die meisten aber feiern, dass Sarkozy der Politik den Rücken kehren will. „Sarkozy, c’est fini!“, brüllen mehrere junge Männer: „Es ist aus mit Sarkozy!“ Einige haben sich mit rotem Lippenstift die Initialen FH auf die Wangen gemalt und ein Herz auf der Stirn. Die Anhängerschaft Hollandes ist „blanc, black, beur“, weiß, schwarz und arabisch; ihre Vielfalt spiegelt sich in den Flaggen wider, die sie schwenken. Viele haben die algerische Fahne mitgebracht, auch die Nationalfarben anderer afrikanischer Nationen werden hochgehalten, mittendrin gibt es bretonische Wimpel und rote Banner mit Sichel und Hammer.
Mitternacht ist lange vorbei, als Hollande endlich auf die Bühne vor die Menge tritt. Alle Parteigranden haben da schon gesprochen: seine frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal, die Präsidentin der Nationalversammlung werden will, der frühere Premierminister Laurent Fabius, der als Außenminister gehandelt wird, und auch der Bürgermeister von Nantes, Jean-Marc Ayrault, der als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Premierministers gilt. Auch Martine Aubry, die angekündigt hat, als Parteivorsitzende abzutreten, würde gern Regierungschefin werden, sie erhält viel Applaus von der Menge. Yannick Noah hat mit seiner Band gesungen, auch wenn den Feiernden zum Tanzen der Platz fehlte. Das waren andere Töne als vor fünf Jahren bei Sarkozys Wahlsieg, als Mireille Mathieu die Marseillaise anstimmte.