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Debatte um IS-Rückkehrer : Bürger und Staatsfeinde zugleich

IS-Kämpfer nach der Eroberung der nordirakischen Stadt Mossul (Archivbild von Mitte 2014) Bild: dpa

In Frankreich ist ein Streit um 130 französische IS-Kämpfer entbrannt, die aus Syrien zurückkehren sollen. Besonders eine Gruppe unter ihnen gilt als großes Problem.

          3 Min.

          Frankreich bereitet sich auf die Rückkehr von etwa 130 radikalen islamistischen Kämpfern aus Syrien vor. Das hat der französische Innenminister Christophe Castaner am Dienstag im Fernsehsender BFM-TV bestätigt. Die meisten Franzosen sehen in den Dschihadisten mit französischen Pässen in erster Linie Staatsfeinde. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop sprechen sich 82 Prozent dafür aus, dass die islamistischen Kämpfer nicht nach Frankreich zurückkehren dürfen, sondern in Syrien oder im Irak verurteilt werden. Der Europaabgeordnete Nicolas Bay vom rechtspopulistischen „Rassemblement National“ (RN) bezeichnete die Kehrtwende der französischen Regierung in dieser Frage am Donnerstag als „unverantwortlich“.

          Michaela Wiegel
          Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

          Die französische Regierung hatte sich bislang geweigert, Franzosen konsularische Hilfe zu gewähren, die für die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien oder im Irak gekämpft hatten und im Kriegsgebiet festgenommen wurden. „Sie werden nicht nach Frankreich überführt, denn sie haben gekämpft und sind also Feinde“, erläuterte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian im Februar 2018. „Sie werden von jenen zur Verantwortung gezogen, gegen die sie gekämpft haben, von den zuständigen örtlichen Gerichten“, ergänzte der Außenminister. Auch wenn den Franzosen in Syrien oder im Irak die Todesstrafe drohe, werde Frankreich nicht eingreifen, um sie zurückzuholen.

          Doch diese unter dem Eindruck der schweren Terrorwelle in den Jahren 2015 und 2016 in Frankreich entstandene Doktrin wird wegen des amerikanischen Truppenabzugs aus Syrien revidiert. Frankreich befürchtet, dass durch den Truppenabzug etliche Häftlinge auf freien Fuß kommen und untertauchen oder gar als Druckmittel gegen Paris eingesetzt werden. Deshalb sollen die Gefangenen sich vor der französischen Justiz verantworten, sagte jetzt der Innenminister. „Die Amerikaner ziehen sich aus Syrien zurück. Es gibt Leute, die im Gefängnis einsitzen, weil die Amerikaner darüber wachen. Sie werden freigelassen und nach Frankreich zurückwollen“, sagte Castaner. Alle Rückkehrer würden vor Gericht gestellt.

          Ein Problem sind die Kinder unter den Rückkehrern

          Die Frage der islamistischen Rückkehrer bewegt seit längerem die französische Öffentlichkeit. Präsident François Hollande scheiterte 2016 mit dem Versuch, einen Entzug der Staatsbürgerschaft für Terroristen durchzusetzen, die ihre Waffen gegen Franzosen oder französische Interessen gerichtet hatten. Die französischen Spezialeinsatzkräfte, die zum Anti-Terror-Einsatz nach Syrien und in den Irak entsandt wurden, hatten die Anweisung, am besten keine Gefangenen zu nehmen. Präsident Hollande rühmte sich in dem Buch „Un président ne devrait pas dire ça ...“, Tötungsbefehle für französische Terroristen im irakisch-syrischen Kampfgebiet gegeben zu haben. Der Journalist David Thomson gewann 2017 den Albert-Londres-Preis für seinen Bestseller „Les Revenants“, in dem er sieben Dschihad-Rückkehrer ausführlich zu Wort kommen ließ. Thomsons Bilanz war beunruhigend: Die meisten Rückkehrer hätten sich von der Ideologie, die sie nach Syrien führte, nicht gelöst. Die Politik habe „die Verwahrlosung ganzer Stadtviertel in Frankreich jahrzehntelang hingenommen und damit diese desolaten Lebensverhältnisse mit geschaffen, die junge Leute anfällig werden lassen für die Fanatiker“.

          Frankreich stellte das größte nationale Kontingent europäischer Dschihadisten im ehemals vom IS kontrollierten Gebiet. Auch nach der weitgehenden Zerschlagung der Terrororganisation halten sich viele noch dort auf, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Das Gefahrenpotential, das von ihnen ausgeht, wird von Dschihad-Fachleuten wie dem Forscher Gilles Kepel als sehr hoch eingeschätzt. Diese Kämpfer hätten gelernt, ohne zu zögern auf Menschen zu schießen, sagte Kepel. Viele der Rückkehrer könnten zudem mit Sprengstoff umgehen. Ihre Verrohung sei oftmals weit vorangeschritten, auch Frauen bildeten keine Ausnahme.

          Ein besonderes Problem stellen die vielen Kinder unter den Rückkehrern dar, die von der Terrororganisation IS als „kleine Löwen des Kalifats“ glorifiziert wurden. Die französischen Behörden haben Kenntnis von 460 Kindern französischer Eltern in Syrien. Ein Drittel dieser Kinder wurde im Kampfgebiet geboren, die Hälfte ist weniger als fünf Jahre alt. Der frühere Terrorstaatsanwalt François Molins bezeichnete diese auf Gewalt und Hass geschulten Kinder als „regelrechte Zeitbomben“. Die Überwachung aller Islamisten ist für die französischen Geheimdienste zu aufwendig geworden. Deshalb befürchten Terrorfachleute, dass etliche Rückkehrer unerkannt wieder in Frankreich Fuß fassen. Innenminister Castaner sagte, die Dschihadisten seien „zuerst Franzosen“.

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