Fraktionsstreit um Parteiführung : Machtkampf in China
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China ist in der Wirtschaft und im Finanzwesen eine Weltmacht. Jeder politische Richtungswechsel wirkt sich somit auch international aus Bild: dapd
„Linke“ und „Reformer“ kämpfen um die Machtverteilung im künftigen Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas. Jeder Richtungswechsel des Landes hat internationale Auswirkungen.
Die Absetzung des Politbüro-Mitglieds Bo Xilai hat dunkle Machenschaften und Fraktionskämpfe in Chinas Führung öffentlich werden lassen. Wenige Monate vor dem Parteikongress im Herbst, auf dem ein neuer Parteichef gekürt wird und die wichtigsten Gremien der Partei neu besetzt werden, streiten „Linke“ gegen „Reformer“. Es geht um die Machtverteilung im künftigen Zentralkomitee der Kommunistischen Partei.
Ministerpräsident Wen Jiabao selbst hat den Richtungsstreit öffentlich gemacht. Der Ministerpräsident warnte vor einer Rückkehr der Kulturrevolution: Die ultralinke Politik Mao Tse-tungs hatte China zehn Jahre lang ins Chaos geführt. Wen beschwor den mehr als 30 Jahre alten Grundsatzbeschluss der Partei, sich Reformen zu öffnen. Dass ein Parteiführer in dieser Weise die Geschichte zu Hilfe ruft, liegt lange zurück. Die Meinungsverschiedenheiten in der Parteiführung müssen entsprechend groß sein.
Recht und Gesetz stehen nicht zur Debatte
Der wegen eines Korruptionsskandals abgesetzte Bo Xilai stand für eine linke Politik. Sein „Chongqinger Modell“ machte mit der Wiederbelebung maoistischer Kultur, der Bevorzugung der Staats- vor der Privatwirtschaft und der Abschaffung etwa der Werbung im Fernsehen von sich reden. Bo, der Sohn eines Parteigründers, kritisierte immer wieder die wachsenden Einkommensunterschiede in China. Im ganzen Land wurde seine Kampagne gegen das Verbrechen aufmerksam registriert: Wie in altsozialistischen Zeiten war man in Chongqing stolz auf eine hohe Zahl von Verhaftungen und Hinrichtungen. Ob es dabei nach Recht und Gesetz zuging, stand nicht zur Debatte.
Neue und alte Linke sind sich darin einig, dass die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich, das Entwicklungsgefälle zwischen Stadt und Land sowie den Regionen und natürlich die Korruption auf zu viel Marktwirtschaft und zu viel Reformbereitschaft zurückzuführen sind. Sie werben für mehr ideologische Reinheit und verdammen den Einfluss des Westens. Manche pochen auf eine aggressive Außenpolitik, die den Vereinigten Staaten und Europa die Stirn bietet.
Die „Rechten“ argumentieren dagegen, dass Chinas Probleme nicht von zu viel, sondern von zu wenig Reform herrühren. China brauche mehr Markt- und weniger Staatswirtschaft, mehr Recht und Transparenz und weniger Kontrolle. Es brauche vor allem eine unabhängige Justiz, die den Gesetzen Geltung verschafft, und - nicht zu vergessen - Kontrolle von unten.
Widersacher werden ausgeschaltet
Es ist in der Kommunistischen Partei Chinas üblich, Widersacher und Konkurrenten vermittels Korruptionsanklagen auszuschalten. Neu ist aber, dass ein Vorgang wie dieser dank Internet und Mikroblogs bis in kleine Einzelheiten bekannt wird und von einer gebannten Öffentlichkeit verfolgt und erörtert werden konnte. Vorbei sind auch die Zeiten, dass Machtkämpfe in der Partei nur „Peking-Astrologen“ beschäftigten. Dreißig Jahre nach der Öffnung ist China auch in der Wirtschaft und im Finanzwesen eine Weltmacht. Jeder Richtungswechsel wirkt sich somit auch international aus.
Es ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, wer in der Parteiführung derzeit nach links neigt. Allerdings zieht der frühere Parteichef Jiang Zemin, der einen besonders autokratischen Führungsstil gepflegt hat, noch immer die Fäden. Über den designierten Parteichef Xi Jinping ist wenig bekannt. Er ist kein Freund Bo Xilais und aus persönlichen vielleicht mehr als aus politischen Gründen kein Anhänger des Chongqinger Modells. Xi Jinping gilt als Pragmatiker, seine bislang bekannten Äußerungen lassen aber nicht auf großen Reformeifer schließen.
In der Regierung hat sich der scheidende Ministerpräsident Wen Jiabao zum Reformer erklärt. Allerdings kommt Wen Jiabaos Bekenntnis, die Reform könne nur vorwärts gehen, reichlich spät. In seiner zehnjährigen Amtszeit hat er keine jener politisch-strukturellen Reformen auf den Weg gebracht, die er jetzt für notwendig hält. Die allmähliche Demokratisierung Chinas hat in seiner Ägide jedenfalls nicht stattgefunden.
Wen Jiabao und Parteichef Hu Jintao haben mit der Ausschaltung Bo Xilais, der in die oberste Führung aufsteigen wollte, einen Sieg über die linken Parteikräfte errungen. Im Hintergrund ist das Ringen um Plätze im Zentralkomitee, im Politbüro und in dessen Ständigem Ausschuss längst im Gange. Die Partei bestimmt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, welche Männer Chinas Politik in den kommenden zehn Jahren bestimmen werden.
Dass die Linken das Rad der Geschichte zurückdrehen und China wieder auf den Weg in den Maoismus bringen würden, sollten sie im Zentralkomitee und Politbüro viel Einfluss gewinnen, wäre kaum zu erwarten. Aber sie wären durchaus in der Lage, Reformen zu bremsen, die demokratisch gesinnte Chinesen und der Westen von China erhoffen.
Das große Interesse im Internet an der Affäre Bo Xilai zeigt, wie sehr die chinesische Gesellschaft sich für die Politik interessiert und wie wichtig Transparenz im Zeitalter von Internet und Globalisierung wäre. Stattdessen werden Blogger wegen „Verbreitung von Gerüchten“ festgenommen: In der Verweigerung von Meinungsfreiheit sind sich Linke und Rechte einig.