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Fall Babtschenko : Warum der angebliche Journalisten-Mord Russland in die Karten spielt

Arkadij Babtschenko als Reporter vor vier Jahren auf dem Majdan-Platz in Kiew. Bild: AFP

Die Regierung in Moskau erklärt den vom ukrainischen Geheimdienst vorgetäuschten Mord an Kreml-Kritiker Babtschenko zur zynischen Provokation. Schon wird die Finte mit dem Gift-Anschlag auf Sergej Skripal verglichen.

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          Die Sprache des Moskauer Politik- und Medienapparats ist so schablonenhaft, dass sie auf den vermeintlichen Tod eines Kritikers ebenso passt wie auf die Wiederkehr des Totgesagten. Nachdem am Dienstagabend gemeldet wurde, der im vergangenen Jahr unter Drohungen aus seiner Heimat geflohene russische Regimekritiker Arkadij Babtschenko sei in Kiew mit drei Schüssen in den Rücken getötet worden, war umgehend von einer zynischen, antirussischen Provokation die Rede, die von gesetzlosen Zuständen in der Ukraine zeuge.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS in Moskau.

          Nachdem der ukrainische Geheimdienst SBU Babtschenko dann am Mittwochnachmittag vorgeführt und angegeben hatte, ein Mordkomplott russischer Geheimdienste aufgedeckt zu haben, wurde einfach flugs die Ermittlerfinte zu einer zynischen, antirussischen Provokation erklärt, die von gesetzlosen Zuständen in der Ukraine zeuge. Das Außenministerium zum Beispiel teilte mit, froh zu sein, „dass ein russischer Bürger lebt“, das wahre Motiv der Inszenierung von Babtschenkos Tod sei eine „neuerliche antirussische Provokation“.

          Falschmeldung als Trumpf

          Aus Moskauer Sicht verleiht dem Geschehen allerdings besondere Würze, dass Kiew eine Falschmeldung benutzt. Schließlich bezeichnet man allgemein Vorwürfe gegen Russland wie die zur Herkunft der Buk-Rakete, die 298 Menschen an Bord von Flug MH17 den Tod brachte, oder zum Giftanschlag auf Julija und Sergej Skripal im englischen Salisbury als „fake news“. Deshalb wurde der Fall Babtschenko nun zum Beispiel aus der Duma, dem russischen Unterhaus, mit dem Fall Skripal verglichen.

          Mit dem Wort „Opfer“ in Anführungszeichen, als wären auch Skripal und seine von Eingriffen der britischen Ärzte schwer gezeichnete Tochter nur kurz untergetaucht. Und das Staatsfernsehen zog am Donnerstagmittag die Linie zu MH17 und behauptete ohne Rücksicht auf die veröffentlichten Ergebnisse der internationalen Ermittler zum Abschuss, es seien bisher keine Beweise vorgelegt worden.

          Die Moskauer Reaktionen auf den angeblichen Tod Babtschenkos verliefen nach einem Schema, das von den Ermordungen russischer Oppositioneller und Journalisten bekannt ist. Politiker und Regierungsvertreter wiesen Vorwürfe zurück und forderten „objektive Ermittlungen“. Weil Babtschenko russischer Bürger ist,  wurde auch, wie zum Anschlag auf Julija Skripal, ein eigenes, russisches Ermittlungsverfahren eingeleitet.

          Zugleich gab es sorgenvolle Äußerungen über die Zustände in der Ukraine, mit denen Moskau offiziell nichts zu tun hat („Bürgerkrieg“). In den vom Kreml kontrollierten Medien werden täglich Chaos und Gesetzlosigkeit im Nachbarland  beschworen, um das eigene Publikum auf die Verderbtheit der „Majdan“-Revolution von 2014 einzuschwören. Unter anderen hob Dmitrij Peskow, der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, die gefährliche Lage von Journalisten in der Ukraine hervor.

          Das Staatsfernsehen wies dazu auf unaufgeklärte Attentate in Kiew hin: auf den Mord an dem Journalisten Pawel Scheremet, einen Kritiker des Kreml, den im Juli 2016 eine Autobombe tötete; auf die tödlichen Schüsse auf den in die Ukraine geflohenen früheren Duma-Abgeordneten Denis Woronjenkow im März 2017, der aus dem Exil über Einzelheiten der Krim-Annexion geplaudert hatte; und auf den Mord an dem – im Unterschied zu den beiden anderen Opfern – für prorussische Positionen bekannten Publizisten Oles Busyna im April 2015.

          Man nutzte die Gelegenheit, dem Westen neuerlich Heuchelei vorzuwerfen, weil der sich über den (vermeintlichen) Tod Babtschenkos aufrege, ab er die kürzlich vorgenommene Verhaftung des Leiters des ukrainischen Ablegers der russischen Staatsnachrichtenagentur Ria Nowosti, Kirill Wyschinskij, nicht kritisiere; ihm wird Verrat in Form von Unterstützung von Moskaus ostukrainischen „Volksrepubliken“ vorgeworfen.

          Drohungen an Verräter

          Allerdings wurde der Fall Babtschenko auch, wie trotz allen Bestreitens schon der Fall Skripal, auch für Drohungen an die Adresse von Verrätern genutzt. Der Duma-Abgeordnetenveteran Wladimir Schirinowskij übernahm es, anderen russischen Flüchtlingen in der Ukraine zu raten, sich über ihre Sicherheit dort Gedanken zu machen. Der „Mord“ an Babtschenko stehe „in einer Reihe mit der Vergiftung Skripals in London (sic!), der Sprengung Scheremets und der Erschießung Woronjenkows in Kiew und mit dem Angriff auf Nemzow in Moskau.“

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