F.A.Z.-Gastbeitrag : Kein Recht auf Abspaltung
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Kosovarische Politiker haben angekündigt, in Kürze einen unabhängigen Staat Kosovo auszurufen. Westliche Staaten scheinen entschlossen zu sein, diesen Staat dann anerzukennen. Das wirft schwierige politische und rechtliche Fragen auf. Das Kosovo darf als neuer Staat anerkannt werden. Der Westen sollte einen Vertrag mit ihm schließen, schreibt Verfassungsrechtler Georg Nolte im F.A.Z--Gastbeitrag.
Kosovarische Politiker haben angekündigt, in Kürze einen unabhängigen Staat Kosovo auszurufen. Westliche Staaten scheinen entschlossen zu sein, diesen Staat dann anerzukennen. Das wirft schwierige politische und rechtliche Fragen auf - auch wenn in Serbien gerade ein EU-freundlicher Präsident gewählt worden ist.
Ein Staat kann dadurch entstehen, dass sich ein Teil eines Staates effektiv lossagt und von der Staatengemeinschaft als unabhängiger Staat anerkannt wird. Das ist im Fall Kroatien geschehen. Ein Trennungsversuch kann aber auch fehlschlagen, etwa wenn nicht genügend Staaten den selbstproklamierten Staat anerkennen und dieser sich nicht allein halten kann. So geschah es im Fall Biafra.
Unklar ist die Lage, wenn ein selbstproklamierter Staat nur von einem Teil der Staatengemeinschaft anerkannt wird und dann eine fragile Existenz fristet. Diese Gefahr besteht im Fall Kosovo. Auf der einen Seite könnte dann der Großteil der westlichen Staaten stehen, auf der anderen Seite Russland, China und andere Staaten mit einer - legitimen - sezessionskritischen Grundeinstellung. Der Fall würde dann auch zum Symbol für die Durchsetzungsfähigkeit der amerikanischen und westlichen Diplomatie.
Eine einseitige Anerkennung des Kosovo würde also politische Probleme schaffen. Aber wäre eine solche Politik auch völkerrechtswidrig? Und würde sie den Wegfall entscheidender völkerrechtlicher Kompetenzen über Kosovo bewirken?
Effektive Herrschaftsgewalt ist entscheidend
Die Anerkennung einer politischen Gemeinschaft als Staat ist nach allgemeinem Völkerrecht grundsätzlich zulässig, wenn diese Gemeinschaft unabhängig von der bisherigen Staatsgewalt effektive Herrschaftsgewalt auf einem bestimmten Gebiet ausübt. Soweit die provisorischen kosovarischen Institutionen Herrschaftsgewalt ausüben, tun sie dies unabhängig von der serbischen Staatsgewalt. Diese Herrschaftsgewalt ist im Vergleich zu derjenigen manch anderer Staaten auch effektiv genug, um als Staatsgewalt anerkannt werden zu können. Es kommt also gar nicht darauf an, ob das Kosovo zusätzlich zu dieser tatsächlichen Möglichkeit zur Sezession auch ein echtes Recht auf Sezession hat.
Westlichen Staaten ist auch dringend davon abzuraten, eine Anerkennung des Kosovo - etwa aus innenpolitischen Gründen - mit einem Recht auf Sezession zu begründen. Ein solches Recht sollte - wenn überhaupt - wegen seiner Anreizwirkung für andere Sezessionsbewegungen nur für akute Extremfälle anerkannt werden. Ein Präzedenzfall Kosovo für ein Recht auf Sezession könnte gefährlich weit interpretiert werden.
Eine andere Frage ist, ob eine Anerkennung des Kosovo mit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 1999 vereinbar ist. Diese Resolution sagt nichts über den endgültigen Status des Kosovo, trifft aber Aussagen über die „allgemeinen Prinzipien“ einer „politischen Lösung der Kosovo-Krise“. Diese Lösung würde mittels eines „Interims-Rahmenabkommens“ gefunden werden, welches eine „substantielle Selbstregierung für Kosovo“ im Rahmen der „Prinzipien der Souveränität und der territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien“ vorsehen sollte.
Keine Lösung nach Resolution 1244
Resolution 1244 wollte also mit einer international überwachten Zwischenlösung die politischen Voraussetzungen für eine inhaltlich offene endgültige Lösung schaffen. Eine solche Lösung ist nach jahrelangen Verhandlungen, die insbesondere zum Ahtisaari-Plan führten, nicht erreicht worden. Für eine solche blockierte Situation enthält Resolution 1244 keine klare Vorgabe. Man kann die Resolution so interpretieren, dass sie einen Einigungszwang, mit Serbien oder im Sicherheitsrat, begründet. Man kann sie aber auch so verstehen, dass sie nur ernsthafte Bemühungen aller Beteiligten zum Abschluss eines „Interims-Rahmenabkommens“ verlangt.