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Explosion auf der Krim-Brücke : Ein Treffer mit hohem Symbolwert

Ein von der russischen Untersuchungskommission zur Explosion auf der Brücke zur Krim zur Verfügung gestelltes Foto vom 8. Oktober 2022 Bild: AFP

Moskau spielt die Beschädigung der Krim-Brücke herunter. Kiew äußert sich nur in Anspielungen. Das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja erlebt laut dem ukrainischen Energieminister „zum dritten Mal einen Blackout“.

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          Für das jüngste Drittel von Wladimir Putins Herrschaft über Russland gibt es kein symbolträchtigeres Bauwerk als die Brücke, die das russische Festland über die Meerenge von Kertsch mit der Krim verbindet. Sie steht für die als „Heimholung“ dargestellte Annexion der ukrainischen Halbinsel und deren Anbindung an Russland. Im Mai 2018, vier Jahre nach dem Anschluss, steuerte Putin persönlich ein  Baufahrzeug über die Brücke.

          Gerhard Gnauck
          Politischer Korrespondent für Polen, die Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau.
          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

          Putins Jugendfreund Arkadij Rotenberg hatte sie in gut zwei Jahren für angeblich mehr als drei Milliarden Euro Staatsgeld gebaut. Russlands Staatsfernsehen jubelte, das Bauwerk auf 595 Pfeilern und 6500 zur Stabilisierung in den Meeresboden getriebenen Pfählen werde jeder Herausforderung standhalten. Mit Putin wurde die 19 Kilometer lange Straßenverbindung, Europas längste Brücke, zunächst für Autos eröffnet. Einige Monate später öffnete sie für Lastwagen, 2019 folgte die Bahntrasse. 

          Logistisch ist die Krim-Brücke nicht nur für die Versorgung der Halbinsel und den Tourismus wichtig, sondern auch für die des russischen Militärs auf der Krim und nun auf dem südukrainischen Festland. Immer wieder wurde hervorgehoben, wie gut die Brücke geschützt sei, so durch Flugabwehrsysteme. Derlei Beschwichtigungen gab es zum Beispiel nach den Explosionen auf militärischen Einrichtungen auf der Krim im August. Nach der Explosion auf der Brücke vom frühen Samstagmorgen wurden Aufnahmen verbreitet, welche die Inspektion des Lastwagens zeigen sollen, der kurz darauf in die Luft flog und die Beschädigungen an Straßen- und Bahnverbindung, auf der ein Zug mit Treibstofftanks Feuer fing, ausgelöst haben soll.

          Der Tatbestand wurde zunächst nicht genannt

          In russischen Telegram-Kanälen war zunächst die Rede davon, der Lastwagen sei ganz mit Palettenfolie beladen gewesen; eine andere Version sah Düngemittel an Bord. Die Inspekteure seien nach der Explosion festgenommen worden, womöglich seien sie nachlässig gewesen oder bestochen worden. Russlands Ermittlungskomitee teilte mit, drei Menschen seien durch die Explosion getötet worden – der Fahrer des Lastwagens und zwei Insassen eines Autos –, und nahm Ermittlungen „im Zusammenhang mit dem Geschehen auf der Krim-Brücke“ auf. Der Tatbestand wurde entgegen den sonstigen Gepflogenheiten zunächst nicht genannt. 

          Dass es sich um einen „Terroranschlag“ oder „Sabotage“ der Ukraine handele, blieb so zunächst ein Vorwurf, den nur Propagandisten erhoben, die, wie der Staatsfernsehmann Wladimir Solowjow, eine „vernichtende Antwort“ forderten. Das zeigte, wie unbequem der Vorfall nahe der vermeintlichen „Festung“ Krim für Russlands Führung war. Das exilrussische Newsportal „Medusa“ berichtete, der Kreml habe Medien angewiesen, hervorzuheben, dass die Brücke nicht zerstört wurde, sondern lediglich Teile der Straßen- und Eisenbahnverbindung beschädigt worden seien, dass Instandsetzungsarbeiten und eine Fährverbindung angelaufen seien. Entsprechende Meldungen häuften sich. Über einen intakt gebliebenen Straßenstrang wurden schon am Samstagnachmittag wieder Autos gelassen, Lastwagen sollen zunächst per Schiff transportiert werden, aber auch demnächst wieder über die Brücke fahren.

          Das Verteidigungsministerium war bestrebt, die Versorgung der Truppen in der Südukraine als gesichert darzustellen: Sie erfolge „pausenlos in vollem Umfang auf dem Landweg und zum Teil per Seetransport“. Putins Sprecher Dmitrij Peskow sagte zunächst, der Präsident sei über das „Ausnahmegeschehen“ unterrichtet und habe eine Untersuchungskommission eingesetzt. Am Samstagabend unterzeichnete Putin einen Erlass, mit dem die Sicherheit der Brücke, anderer Transportverbindungen über die Meerenge von Kertsch sowie von Gas- und Stromverbindungen auf die Krim dem Geheimdienst FSB übertragen wird.

          Am Sonntagabend meldete sich Putin dann selbst zu Wort und machte in einer  Begegnung mit dem Leiter des Ermittlungskomitees, Alexandr Bastrykin, den ukrainischen Geheimdienst SBU für die Explosion  verantwortlich. „Es gibt keine Zweifel. Das ist ein Terroranschlag, der auf die Zerstörung kritischer ziviler Infrastruktur der Russischen Föderation ausgerichtet war“, sagte Putin, wobei er die Bedeutung der Brücke für sein Militär unterschlug . Bastrykin sagte, es sei ein Ermittlungsverfahren wegen Terrorismus eröffnet worden, Beteiligte seien „Bürger Russlands und ausländischer Staaten, die geholfen haben, diesen Terroranschlag vorzubereiten“.

          Die Ukraine äußerte sich zur Explosion und zu den Rauchwolken über der Brücke nur in Anspielungen. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft am Samstagabend: „Leider war es auf der Krim bewölkt. Aber auch warm.“ Doch „die Zukunft ohne die Besatzer“ werde, auch auf der Krim, „sonnig“ sein. Andere Vertreter Kiews stellten die Beschädigung der Brücke als Geschenk zum 70. Geburtstag Putins am Freitag dar. 

          Seit mehreren Tagen werden im teilweise besetzten Süden der Ukraine durch russischen Beschuss ungewöhnlich viele Zivilisten getötet. In der Nacht zum Sonntag traf es wieder Stadt und Gebiet Saporischschja, das Putin doch gerade zu einem Teil Russlands erklärt hatte. Raketen rissen in der Stadt ein sieben Stockwerke hohes Loch in einen Wohnblock, allein dort gab es mindestens zwölf Tote, fünf weitere in anderen Häusern.

          Schweren russischen Beschuss gab es auch in Nikopol, nahe dem russisch besetzten Atomkraftwerk (AKW) Saporischschja. Am Wochenende erlebte das AKW laut Energieminister Herman Haluschtschenko in diesem Krieg „zum dritten Mal einen Blackout“. Durch russischen Beschuss sei die letzte Stromleitung zum ukrainischen Netz zerstört worden. „Jetzt sichern Dieselgeneratoren den Betrieb, der Brennstoff reicht für zehn Tage.“ 

          Eine solche Situation gilt als gefährlich, weil  die Brennstäbe des Kraftwerks auch in heruntergefahrenem Zustand  gekühlt werden müssen. Vorige Woche hatte Putin mit einem Dekret das AKW zu russischem Besitz erklärt und der Firma Rosenergo­atom unterstellt. Der ukrainische Betreiber Enerhoatom teilte mit, das Dekret sei rechtswidrig. Am 30. September hatten russische Soldaten  AKW-Direktor Ihor Muraschow entführt und erst drei Tage später wieder freigelassen. 

          Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA protestierte gegen den „unverantwortlichen“ Beschuss in der nächsten Umgebung des Kraftwerks. Präsident Selenskyj beklagte mit Blick auf die russischen Truppen im Kraftwerk, im Atomkraftwerk hielten sich „500 russische Terroristen“ auf, und forderte eine „entmilitarisierte Zone“ rund um das Kraftwerk.

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