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Kommentar : Osteuropas Ängste

Die Angst von Russlands Nachbarn vor einer Aggression des Kremls ist angesichts der Entwicklungen in der Ukraine verständlich. Für sie wäre es beruhigend, würden die Vereinigten Staaten militärisches Gerät schicken.

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          Nur eine „kranke Person“ könne sich „nur in einem Traum“ vorstellen, dass Russland „plötzlich“ die Nato angreife, hat Wladimir Putin vergangene Woche in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ gesagt. Den osteuropäischen Staaten, die stärkeren militärischen Schutz fordern, warf er vor, sie wollten Vorteile für sich herausschlagen, indem sie „mit der Angst der Menschen vor Russland spielen“. Putin hätte es in der Hand, etwas dagegen zu unternehmen: indem er die Ängste der kleineren Nachbarn ernst nehmen und um Vertrauen werben würde.

          Doch Putin tut das Gegenteil. Man würde ja nur zu gerne glauben, dass ein Angriff Russlands auf einen Nato-Staat jenseits aller denkbaren Möglichkeiten liegt. Die reale Gefahr dürfte in der Tat sehr gering sein. Aber bis Frühjahr 2014 konnte sich – außer einigen als antirussischen Hysterikern verschrienen Osteuropäern – auch niemand vorstellen, dass Russland einen Teil eines Nachbarlands annektieren und einen Krieg wie den in der Ostukraine vom Zaun brechen würde. Seither herrscht auch in jenen westlichen Hauptstädten, in denen noch immer viele gerne zur alten Partnerschaft mit Russland zurückkehren würden, große Ungewissheit darüber, was aus Moskau alles zu erwarten sein könnte. Lauter und eindeutiger als die zarten Friedenssignale, die die russische Führung von Zeit zu Zeit aussendet, sind jedenfalls die Töne, mit denen sie ihre Bereitschaft zur Konfrontation demonstriert.

          In Äußerungen führender russischer Politiker ist in jüngster Zeit immer wieder Spott über die Furcht der Nachbarn Russlands und deren historisch bedingten „antirussischen Komplexe“ zu hören. Während in Russland Stalin immer mehr rehabilitiert wird, werden dessen Opfer so verhöhnt. Dass deren Nachfahren alles tun, um sich abzusichern, ist verständlich. Dazu gehört auch ein verstärkter militärischer Schutz. Für sie wäre es beruhigend, wenn die Vereinigten Staaten tatsächlich schweres militärische Gerät bei ihnen lagern würden. Auch wenn Russland darauf mit starken Worten reagieren dürfte, wäre das ein Beitrag zu mehr Sicherheit in Europa: In Moskau gibt es im politischen Establishment weitaus mehr „kranke Personen“ (um Putin zu zitieren), die über einen militärischen Zusammenstoß zwischen Russland und der Nato phantasieren, als sonstwo auf der Welt.

          Reinhard Veser
          Redakteur in der Politik.

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