Wahl in der Türkei : „Die nationalistische Strategie der AKP hat funktioniert“
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Ein Unterstützer von Recep Tayyip Erdogan feiert den Wahlsieg in Istanbul mit einem Bildnis des Präsidenten Bild: AP
Nach dem Wahlsieg der Partei von Präsident Erdogan befürchtet Türkei-Experte Joost Lagendijk weitere Übergriffe auf oppositionelle Medien. Im Interview erklärt er auch, warum er die kurdische PKK zu den Gewinnern zählt.
Im Gespräch mit FAZ.NET analysiert der niederländische Türkei-Experte Joost Lagendijk den Erfolg der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) von Staatspräsident Tayyip Erdogan und die Beziehung der vor allem von Kurden gewählten „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) zur kurdischen Terrororganisation PKK.
Herr Lagendijk, die AKP des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan hat bei der türkischen Parlamentswahl am Sonntag fast neun Prozentpunkte hinzugewonnen im Vergleich zur Wahl im Juni. Wie lässt sich dieser Erfolg erklären?
Er speist sich vor allem aus drei Quellen: Die größte sind die Verluste der „Partei der nationalistischen Bewegung“, die fast ein Viertel ihres Zuspruchs verloren hat. Diese Stimmen gingen fast ausschließlich an die AKP. Die AKP hat im Wahlkampf eine nationalistische Strategie verfolgt, und das hat offensichtlich funktioniert. Außerdem haben einige außerparlamentarische Splitterparteien rechts von der AKP, die im Juni gemeinsam noch etwa vier Prozent errungen hatten, die Hälfte davon an die AKP verloren. Die dritte und interessanteste Quelle besteht aber darin, dass ein Teil der Kurden sich von der HDP abgewandt und diesmal wieder für die AKP gestimmt hat. Die HDP hat gerade in ihren Hochburgen im Südosten der Türkei deutliche Verluste erlitten, was darauf hindeutet, dass viele Kurden die PKK und die Wiederaufnahme der Kämpfe ablehnen. Die AKP hatte Erfolg damit, dass Wiederaufflammen der Kämpfe allein der HDP anzulasten.
Außerdem hat die AKP einen anderen Wahlkampf geführt als noch im Juni, als Erdogan für die Errichtung eines Präsidialsystems geworben hat.
Sie hat Lehren aus dem Ergebnis im Juni gezogen und nicht den Fehler begangen, die Errichtung eines Präsidialsystems wieder in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes zu stellen. Ein Präsidialsystem ist ziemlich unpopulär bei den Türken und wird sogar von vielen AKP-Wählern abgelehnt. Es war also eine kluge Entscheidung, sich im Wahlkampf nicht mehr darauf zu beziehen. Erdogan hat auch längst nicht eine so zentrale Rolle im Wahlkampf der AKP gespielt wie noch im Juni. Die AKP hat ihre Kampagne diesmal stattdessen auf die Frage „Stabilität oder Chaos?“ konzentriert. Sie hat sich mit Stabilität und die anderen Parteien mit Chaos gleichgesetzt. Was auch immer man davon halten mag: Das hat funktioniert.
Trotz der absoluten Mehrheit der Mandate kann Erdogan sein Präsidialsystem aber weiterhin nicht durchsetzen, denn es fehlt der AKP an der verfassungsmäßig vorgeschriebenen Mehrheit, um ein Referendum darüber initiieren zu können.
Ja, und deshalb wird es wohl darauf hinauslaufen, dass er weitermacht wie bisher: Er wird als Präsident de facto das Land regieren, und die künftige Regierung wird das hinnehmen wie die bisherige. Wir werden weiterhin erleben, wie Erdogan in die Tagespolitik eingreift, obwohl er das laut Verfassung eigentlich nicht darf. Er wird es aber tun können, weil nur der Ministerpräsident sich dagegen stellen könnte – und der wird das nicht wagen. Auf dem Papier wird die Verfassung also nicht geändert werden, aber tatsächlich wird der nahezu tägliche Verfassungsbruch durch den Staatspräsidenten seine Fortsetzung finden. Die früheren großen Namen der AKP, wie der einstige Staatspräsident Abdullah Gül und einige andere, haben darauf gewartet, dass Erdogan nach der Wahl im Juni nun ein zweites Mal verlieren werde. Dann wären sie womöglich hervorgetreten. Doch was werden sie jetzt tun? Werden sie eine eigene Partei gründen, oder werden sie sich endgültig zurückziehen? Das ist eine offene Frage.
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