Nach der Türkei-Wahl : Ein Gewinner und viele Verlierer
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Er stand eigentlich gar nicht zur Wahl: Präsident Tayyip Erdogan lässt sich am Montag in Istanbul von Anhängern feiern. Bild: Reuters
Einen so hohen Sieg der AKP hatte kaum jemand für möglich gehalten. Vorwürfe von Wahlbetrug sind aber deplaziert, denn den hatte Erdogan gar nicht nötig. Das Problem waren die Vorkomnisse vor der Wahl.
Am Tag danach war die Lira die große Gewinnerin. Die türkische Landeswährung gewann am Montag im Vergleich zum Dollar so viel an Wert wie seit sieben Jahren nicht mehr. Zuletzt hatte sie im November 2008 an einem einzigen Tag so stark zugelegt wie nun nach dem deutlichen Wahlsieg der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seinem Regierungschef Ahmet Davutoglu.
Die Aussicht, dass die AKP künftig wieder die absolute Mehrheit der Mandate im Parlament haben wird und die Türkei allein regieren kann, beflügelte die Istanbuler Börse. Fast alle Werte legten deutlich zu – mit einigen wenigen, bezeichnenden Ausnahmen. Die Anteile von drei zur Ipek Holding gehörenden Unternehmen und auch die Aktien einer zur Dogan-Gruppe gehörenden Gesellschaft verloren an Wert.
Kein Wunder: Beide Konzerne haben den Zorn Erdogans auf sich gezogen, und das ist in der Türkei nicht gut fürs Geschäft. Der Ipek-Konzern, der sich unter anderem Tageszeitungen und Fernsehsender leistet, fiel bei Erdogan in Ungnade, weil ihr Chef der Bewegung des im amerikanischen Exil lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen nahesteht. Gülen aber ist nach den Worten des türkischen Präsidenten neben der kurdischen Terrororganisation PKK der übelste Feind der Türkei. Das lässt Erdogan immer unverblümter alle Unternehmer spüren, die dem Prediger und seiner Bewegung ergeben sind.
Nachdem Finanzbeamte in den Büchern der Holding trotz intensiver Suche bei mehreren Razzien offenbar keine Anzeichen für Steuerhinterziehung hatten finden können, wurden die regierungskritischen Ipek-Medienunternehmen im Handstreich und mit Polizeigewalt dennoch unter (vermeintlich) treuhänderische Aufsicht gestellt. Eine der Begründungen dafür war besonders bemerkenswert: Ein derart großer Konzern könne gar nicht so saubere Bücher haben – das sei verdächtig. Nun haben Erdogans ergebene Manager dort das Sagen.
Mit so einem Sieg hatte (fast) niemand gerechnet
Bei den ebenfalls regierungskritischen Zeitungen und Sendern der Dogan-Gruppe ist es noch nicht so weit, könnte aber so weit kommen. Erdogan hat Dogan und dessen Medien mehrfach persönlich angegriffen, und einige rhetorisch für das Grobe zuständige AKP-Politiker und Sympathisanten kündigten bereits an, dass man nach der Ipek-Holding auch mit anderen „verräterischen“ Medienhäusern aufräumen werde. Deshalb hielten es am Montag viele Aktionäre für ratsam, ihre Anteile an Dogan-Unternehmen zu verkaufen.
Insgesamt aber war der Markt durchaus zufrieden mit dem Wahlausgang. Dass die AKP bei der zweiten Parlamentswahl in diesem Jahr wie immer seit ihrer Gründung vor mehr als einem Jahrzehnt stärkste Kraft werden würde, hatte zwar schon vor der Abstimmung niemand bezweifelt, und auch leichte Zugewinne in der Wählergunst im Vergleich zum Ergebnis der Wahl im Juni, als Erdogans Partei erstmals die absolute Mehrheit der Mandate verfehlt hatte, waren von den meisten Umfrageinstituten prognostiziert worden.
Doch mit einem Sieg der AKP in dieser Höhe hatte (fast) niemand gerechnet: Mehr als 49,3 Prozent der Stimmen bedeuten das zweitbeste Resultat in der Geschichte der Partei – und das alles nach Monaten der Unsicherheit, nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe gegen die PKK, nach dem Terroranschlag von Ankara sowie in einem wirtschaftlichen Umfeld, das viel von der Dynamik der frühen Regierungsjahre der AKP eingebüßt hat.