Machtrausch nach Putschversuch : Erdogans Trümpfe
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Weiß er, dass er selbst den stärksten Trumpf nur einmal ausspielen kann? Der türkische Präsident Erdogan Bild: AP
Die Europäische Union warnt den türkischen Präsidenten Erdogan davor, im Zuge seines Konterputsches auch die Todesstrafe wieder einzuführen. Doch die Vollmitgliedschaft in der EU ist ohnehin nur noch eine Illusion. Und das Flüchtlingsabkommen gilt als unantastbar.
Die Säuberungsmaschinerie des türkischen Staatspräsidenten Erdogan läuft auf Hochtouren. Binnen Stunden nach dem Putschversuch setzten die Verhaftungen ein. Innerhalb von drei Tagen wurden mehr als 7500 Soldaten, Richter, Staatsanwälte und Polizisten festgenommen. 13.000 weitere Staatsbedienstete sind inzwischen suspendiert worden.
Das schafft auch der effizienteste Polizeistaat der Welt nicht aus dem Stand. Die Listen muss es schon gegeben haben, weil Erdogan entweder ohnehin einen solchen Schlag gegen alle plante, die er als seine Feinde ansieht, oder weil er für den Fall eines Umsturzversuches vorbereitet sein wollte. Ein solches „Geschenk Allahs“ bekommt man nicht alle Tage.
Erdogans Konterputsch fällt so massiv aus, dass die EU und Amerika sich genötigt sehen, mit fast allem zu drohen, was dem türkischen Präsidenten weh tun könnte. Übermäßig viel ist das nicht. Die Türkei sichert mit dem zweitgrößten Heer der atlantischen Allianz deren Südostflanke. Sie hat als Wächter am Bosporus, als Anrainer des Schwarzen Meeres und als Puffer zu den Kriegszonen in Syrien und im Irak enorme strategische Bedeutung, was Erdogan nur zu gut weiß. Er müsste sich schon schlimmer aufführen als Putin und Assad, bevor die Nato daran dächte, die Türkei zu verstoßen.
Auch in Sachen EU-Mitgliedschaft hat Erdogan wenig zu verlieren, denn die ist ohnehin nur noch eine Illusion. In der EU stehen die Zeichen nicht auf Erweiterung, sondern auf Verkleinerung und Rückbau. Gleichzeitig entfernt sich die Türkei unter Erdogan und dem Jubel seiner vielen Anhänger (auch in Deutschland) immer weiter von den Mindeststandards bei den Menschenrechten, der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung, die in der EU gelten. Die Gedankenspiele zur Wiedereinführung der Todesstrafe sind dafür nur ein Beispiel.
Doch selbst dieses Reizwort brachte niemanden dazu, Erdogan mit der Kündigung des Flüchtlingsabkommens zu drohen, das zu einer Art Magna Charta zwischen der EU und der Türkei geworden ist. Diese Übereinkunft sei getrennt von allem zu sehen, hieß es in Berlin. Die Schlüsse, die Erdogan daraus ziehen muss, liegen auf der Hand. Er sollte freilich wissen, dass man selbst den stärksten Trumpf nur einmal ausspielen kann. Doch erinnert sich daran auch ein Autokrat im Machtrausch, der sich für unbesiegbar hält?