Recep Tayyip Erdogan : Ein Mann geht seinen Weg
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Zauberhaft: Erdogan schwebt als Hologramm über seinen Anhängern in Izmir Bild: dpa
Während der türkische Ministerpräsident Erdogan in Berlin für seine Politik wirbt, stockt in der Türkei die Demokratisierung.
Recep Tayyip Erdogan lässt sich zwar nichts anmerken, aber es hat schon leichtere Zeiten gegeben für ihn. Das Jahr 2013 endete schlecht, und 2014 begann kaum besser für den Ministerpräsidenten der Türkei. Zwei Monate vor der Kommunalwahl stemmt sich die Regierungspartei AKP mit all ihrer Macht gegen die Korruptionsermittlungen, die mehrere ihrer führenden Mitglieder und vielleicht sogar den Sohn Erdogans beträfen - wenn die Justiz denn arbeiten könnte, wie sie in einem Rechtsstaat arbeiten sollte. Sie kann es nicht, auch deshalb nicht, weil Hunderte Polizisten und Staatsanwälte von den heiklen Fällen abgezogen und in andere Abteilungen oder gleich in weit entfernte Städte versetzt wurden.

Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.
Die Versetzung von Staatsanwälten in andere Städte ist in der Türkei zwar an sich eine übliche Verwaltungspraxis - aber üblicherweise finden die Revirements in den Schulferien im Sommer und unter geordneten Umständen statt, nicht per Eildekret. Unter dem Druck der gewählten Machthaber weigern sich Polizisten nun aus Angst vor unerquicklichen Folgen, politisch schwierige Haftbefehle zu vollstrecken und Ermittlungsaufgaben wahrzunehmen. So werden selbst jene Staatsanwälte, die den Mut zu echten Ermittlungen haben, zu Wesen ohne Arme und Beine. Das Land, das noch vor wenigen Jahren als Modell für die Demokratisierung der islamischen Welt gefeiert wurde, ähnelt mehr und mehr einer Bananenrepublik.
So ähnlich, wenn auch in diplomatischeren Formulierungen, steht es auch in einem am Montag veröffentlichten Bericht der amerikanischen Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ zum Stand der Pressefreiheit in der Türkei. Ankara nutze die Medienmacht „um Diskussionen über Regierungshandeln zu beschränken“, wird darin festgestellt, verbunden mit der Warnung, die Versuche der Regierung, eine freie Debatte zu kontrollieren, bedrohe potentiell nicht nur die Stabilität des Landes, sondern auch die türkische Annäherung an Europa sowie das (bisher) starke Bündnis der Türkei mit den Vereinigten Staaten.
Gefährdung ist längst Tatsache
Was Europa betrifft, ist die Gefährdung längst Tatsache. Längst zweifeln nicht mehr nur Konservative an der EU-Integrationsfähigkeit der Türkei. Mit seinen reflexhaften Angriffen selbst gegen konstruktive Kritiker hat Erdogan viele Gönner in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten verprellt. Das Vorgehen der Exekutive gegen die Judikative und zuletzt der Versuch, durch ein Gesetz zur Kontrolle des Internets auch die sozialen Medien an die Kandare zu nehmen, haben das Misstrauen weiter geschürt. Längst hoffen die Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft auf die Zeit nach Erdogan, weil sie sich von der Zeit davor nichts mehr versprechen.
Immerhin begann am Montag in der zentralanatolischen Stadt Kayseri unter starken Sicherheitsvorkehrungen der Prozess im Fall Ali Ismail Korkmaz. Der junge Mann war 19 Jahre alt, als er im Juni vergangenen Jahres von mehreren Männern mit Knüppeln so grausam verprügelt wurde, dass er in ein Koma fiel, aus dem er nicht mehr erwachte. Korkmaz gehörte zu jenen jungen Türken, die sich den Protesten gegen die Regierung angeschlossen hatten, die im Istanbuler Gezi-Park und am Taksim-Platz ihren Ausgang nahmen.