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Annexion der Krim : Ein Machtspiel wie von einem anderen Stern

Der „Ministerpräsident“ der Krim Sergej Aksjonow (links) feiert den ersten Jahrestag des Anschlusses der Krim an Russland. Bild: Reuters

Nur Putin könnte sagen, was er im Osten der Ukraine weiter vorhat. Doch wer würde ihm noch etwas glauben wollen?

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          Ein Jahr nach dem „Referendum“ auf der Krim, in dem Wladimir Putin die Heimholung der Halbinsel ins russische Reich bejubeln ließ, wird in Sewastopol abermals gefeiert: dass der Präsident den „Mut, festen politischen Willen und die staatsmännische Weisheit“ hatte, die Ergebnisse des Referendums anzuerkennen, wie der Statthalter Moskaus auf der Krim seinem Herrn huldigte. Viel Mut und Wille waren dazu allerdings nicht mehr nötig gewesen, gab Putin doch kürzlich zu, dass die entscheidende Abstimmung über das Schicksal der Krim viel früher im Kreml stattgefunden hatte: in der Nacht, in der Janukowitsch aus Kiew floh. Dass dieser sich so schnell in die Büsche schlagen würde, mag Moskau überrascht haben. Doch vorbereitet war man auf den Griff nach der Krim, bis hin zum Aufspannen des nuklearen Schutzschirms. Die Übernahme lief einschließlich der propagandistischen Begleitung wie am Schnürchen. Den Regierungen im Westen ging es danach wie den Bundesliga-Vereinen nach einem weiteren X:0-Sieg des FC Bayern: Sie sahen einem Spiel wie von einem anderen Stern zu – ohne recht zu wissen, was sie dagegen tun sollen.

          Viel Zeit zum Nachdenken ließ Putin ihnen nicht. Er wandte sich sofort dem nächsten Kriegsschauplatz zu. Die von ihm geschaffene prekäre Lage im Osten der Ukraine hat den gewiss nicht unerwünschten Nebeneffekt, dass kaum noch von der Krim – und der dort betriebenen massiven Aufrüstung – gesprochen wird. Die Kanzlerin bekräftigte aus Anlass des Besuchs Poroschenkos, dass Deutschland den Anschluss der Halbinsel an Russland nicht anerkennt. Berlin ist auch für die Verlängerung der bestehenden Sanktionen. Doch gibt es Stimmen in der EU, die für eine mildere Behandlung Moskaus plädieren, weil die Vereinbarungen von Minsk weitgehend eingehalten würden.

          Daran wird freilich nicht nur in Kiew gezweifelt. Putin dafür zu belohnen, dass er nicht weiter vorrückt, wäre in jedem Fall falsch. Russland hält mit Hilfe eigener regulärer Truppen und von ihnen unterstützter und ausgerüsteter Freischärler Territorium eines souveränen Nachbarstaats besetzt; die Krim verleibte es sich sogar ein. Minsk II ändert daran gar nichts. Nur Putin selbst könnte sagen, ob ihm diese Vereinbarung zum Einfrieren des Konflikts dient oder zum Atemholen für seinen nächsten Schlag. Aber wäre das dann die Wahrheit? Die erführe man vielleicht auch erst ein Jahr später. Oder nie.

          Berthold Kohler
          Herausgeber.

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