Großbritannien : Wie damals im Weltkrieg
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In der Kritik: Die Camerons auf Ibiza Bild: AFP
In Großbritannien geht die Debatte über den Mord von Woolwich weiter - auch mit starken Vergleichen. Derweil gehen die Diskussionen weiter, ob mit neuen Gesetzen die Gefahren durch islamistische Gewalttäter einzudämmen sind.
Als die Eltern des ermordeten Soldaten Lee Rigby am Sonntag zum ersten Mal den Tatort im Londoner Stadtteil Woolwich besuchten, rief in East Yorkshire, mehr als 300 Kilometer entfernt, ein Häftling zum „Heiligen Krieg“ im Gefängnis auf. Gemeinsam mit zwei weiteren Insassen brachte er einen Gefängniswärter in seine Gewalt und richtete ihn so übel zu, dass er schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Das Justizministerium bestätigte am Dienstag den Vorfall, nahm aber keine Stellung zu Details - besonders zu der Information mehrerer Blätter, dass es sich bei den Tätern um Muslime gehandelt habe, die vom Attentat in Woolwich „inspiriert“ waren.

Politischer Korrespondent in London.
Die blutigen Szenen von Woolwich halten das Land noch immer im Griff. Im Londoner Regierungsviertel wurden mehr als ein Dutzend Demonstranten festgenommen, als sie vor dem Amtssitz des Premierministers für ein schärferes Vorgehen gegen Islamisten protestierten. Die rechtsgerichtete „English Defence League“ (EDF) hatte zu der Kundgebung aufgerufen und neben Anhängern und Fußball-Hooligans auch eine Reihe von Kriegsveteranen angezogen. Als sich Teilnehmer einer Gegendemonstration näherten, flogen Flaschen.
Zehn Moscheen und islamische Zentren wurden seit Mittwoch vergangener Woche angegriffen oder beschmiert. Der gefährlichste Vorfall ereignete sich im mittelenglischen Great Grimbsby, wo drei Brandsätze in den Fluren landeten. Der Vorsitzende des Islamischen Gemeindezentrums erstickte die Flammen mit einem Feuerlöscher, niemand wurde verletzt. In York kam es zu einer erfreulicheren Szene, als Muslime vier verlorene Demonstranten der EDF zu Tee und Gebäck in ihre Moschee einluden. Der Imam verglich den Moment später mit dem „Weihnachtsfrieden“, als britische und deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg während eines inoffiziellen Waffenstillstands Fußball miteinander spielten.
Provokationen nehmen zu
Sorgen, dass sich der Konflikt zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Bürgern verschärfen könnte, schürten am Dienstag Schmierereien auf zwei Londoner Kriegsdenkmälern. Am Morgen hatten Polizisten rote „Islam“-Schriftzüge auf dem „Bomber Command Memorial“ und dem „Animals in War Memorial“ im Zentrum der Hauptstadt entdeckt. In den Medien wurde spekuliert, ob Muslime dahintersteckten oder Aktivisten, die den Konflikt anheizen wollen. Die Behörden ermitteln; die Schmierereien wurden rasch abgedeckt.
Unterdessen gehen die Diskussionen weiter, ob neue Gesetze geeignet sind, die Gefahren durch islamistische Gewalttäter einzudämmen. Innenministerin May erwägt das Verbot muslimischer Gruppen, in denen Hass gepredigt wird, eine schärfere Zensur von extremistischen Inhalten im Internet und Auftrittsverbote radikaler Islamisten im Fernsehen. Vor allem die Liberaldemokraten, die Teil der Regierungskoalition sind, wenden sich dagegen. Ihr Vorsitzender Nick Clegg sprach von „reflexhaften“ Reaktionen. Konservative Kolumnisten drehten das Argument um und kritisierten den liberalen Reflex, auf Gewalt mit Nichtstun zu reagieren. Premierminister Cameron griff bislang nicht in die Debatte ein - er ist im Urlaub auf Ibiza, wofür viele kein Verständnis haben.