Gefängnisse in Frankreich : Brutstätten des Islamismus
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Das Gefängnis Fleury-Mérogis wurde Ende der Sechziger Jahre für 2800 Häftlinge gebaut, ist seither aber ständig überfüllt. Bild: Reuters
Die Terroristen Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly gerieten im Gefängnis in den Bann von Islamisten. Das ist ein bekanntes Phänomen in Frankreich. Auch die Isolation der Fanatiker ist umstritten.
Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly, die Terroristen von Paris, haben sich in der größten Haftanstalt Europas kennengelernt, in Fleury-Mérogis im Süden der Hauptstadt. Das Gefängnis wurde Ende der sechziger Jahre für 2800 Häftlinge gebaut, aber es ist seither ständig überfüllt. Im Mai 2014 waren in den Zellen laut „Libération“ 4100 Häftlinge untergebracht. Zwischen 60 und 70 Prozent der in Fleury-Mérogis inhaftierten Straftäter haben Wurzeln im islamischen Kulturraum. Das sagt der UMP-Abgeordnete Guillaume Larrivé, der einen Bericht zu dem Thema „Kriminalität und Islam“ erstellt hat. Genauere Zahlen gibt es nicht, denn ethnisch-religiöse Statistiken sind in Frankreich verboten. Ein muslimischer Seelsorger, Abdelhak Eddouk, ist für die Haftanstalt Fleury-Merogis zuständig. Er hält Kontakt zu jenen Häftlingen, die sich mit Gesprächswünschen an ihn wenden. Für eine präventive Arbeit bleibt ihm keine Zeit. Kein Wunder also, dass selbsternannte Prediger ein leichtes Spiel haben, die Mithäftlinge in ihren Bann zu ziehen. Kouachi und Coulibaly gerieten 2005 in Fleury-Mérogis unter den Einfluss des radikalen Islamisten Djamel Beghal. Dem Personal in der Haftanstalt war bewusst, dass der Häftling Beghal einen Kreis von Anhängern um sich geschart hatte und diese sich zunehmend fanatisierten. Doch die Gruppe um Beghal verstieß nicht gegen die Regeln der Haftanstalt, deshalb wurde sie in Ruhe gelassen.
Für Untersuchungsrichter Marc Trévidic, der die Anti-Terror-Einheit im Strafgericht von Paris leitet, stellt der Justizvollzug den größten Schwachpunkt im französischen Anti-Terror-Arsenal da. „Was in den Haftanstalten passiert, ist ein Problem“, sagt Trevidic. „Die Häftlinge verlassen die Haftanstalten mit noch radikaleren Ideen als jenen, für die sie verurteilt wurden“, sagt der Untersuchungsrichter. Die Terroristenlaufbahn werde in der Haft gefestigt, statt eine Abkehr vom terroristischen Gedankengut zu erreichen. Eine „Deradikalisierung“, wie sie in anderen europäischen Ländern versucht werde, finde gar nicht erst statt. Der Attentäter von Toulouse und Montauban, Mohamed Merah, hatte sich im Gefängnis radikalisiert. Auch Mehdi Nemmouche, der den Anschlag im Jüdischen Museum in Brüssel verübte, geriet in der Haftanstalt in Kontakt mit einem Dschihadistennetzwerk. Cherif Kouachi und Coulibaly sind die jüngsten Beispiele dafür, dass die französischen Haftanstalten zu Brutstätten für den radikalen Islamismus geworden sind. Ihre Terrorzelle bildete sich im Schutz der Gefängnismauern. „Es ist nicht normal, dass erfahrene Islamisten in Haft in Kontakt mit kleinen Terrorlehrlingen stehen“, sagt Richter Trevedic. Die Strafvollzugsbehörden in Frankreich leiden seit langem unter Personalmangel. Für die individuelle Betreuung von radikalen Islamisten fehlt es an Platz und qualifizierten Sozialarbeitern.
In der Haftanstalt Fresnes bei Paris ist im vergangenen Oktober ein Experiment angelaufen, dessen Ziel es ist, gewöhnliche Kriminelle dem Einfluss radikaler Islamisten zu entziehen. In Fresnes sitzen 2500 Häftlinge ein, zwei Dutzend von ihnen gelten als islamistische Fanatiker mit missionarischen Ambitionen. Diese Gruppe wurde von den anderen Häftlingen isoliert. Sie wurden in Zellen in einem Seitenflügel der Haftanstalt verlegt. Hofgänge und Essenszeiten werden seither getrennt organisiert. Zwölf betroffene Häftlinge begehrten gegen die Isolierung auf. Es kam zu mehreren Übergriffen auf das Strafvollzugspersonal. Nach einem Hofgang weigerten sich mehrere Häftlinge, in ihre Zellen zurückzukehren. Der Aufstand wurde unter Androhung von Strafen beendet. Aber das Strafvollzugspersonal steht dem Experiment kritisch gegenüber. Die Gewerkschaftsvertreter der Haftanstalt von Fresnes haben protestiert. „Die Isolierhaft führt zu so etwas wie einem islamistischen Trainingslager auf Staatskosten. Gegenseitig stacheln sie sich auf und radikalisieren sich noch mehr“, sagte Ahmed El Hoummass, der die Gewerkschaft CGT in Fresnes vertritt. Bemühten sich viele der islamistischen Häftlinge zuvor, nicht aufzufallen, seien sie in der Gruppe auf ein Kräftemessen mit dem Überwachungspersonal aus.
„Der harte Kern der Islamisten schließt sich auf diese Weise zusammen und fühlt sich in seiner Wichtigkeit bestätigt“, sagte Yoan Karar von der Gewerkschaft SNP-FO. Er beschwerte sich auch, dass der Versuch von der Haftanstalt-Leitung ohne vorherige Rücksprache mit dem Personal angeordnet worden sei. Die Gewerkschaften bemängelten, dass kein zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt werde. Für den Politikwissenschaftler Farhad Khosrokhavar stellt der Versuch von Fresnes keine Lösung dar. „Die isolierten Islamisten können auf diese Weise ein noch größeres und noch gefährlicheres Netzwerk bilden. Für die Betroffenen wird es noch schwieriger, auszusteigen und vom radikalen Islam abzukehren“, sagte der Forscher, der das Buch „L’Islam dans les prisons“ („Der Islam in den Gefängnissen“) veröffentlicht hat. Die Leitung der Haftanstalt von Fresnes hat sich bislang geweigert, zu dem Experiment Stellung zu nehmen.
Justizministerin Christiane Taubira sagte, man müsse eine erste Zwischenbilanz abwarten. Doch Premierminister Manuel Valls ist am Montag mit dem Vorschlag vorgeprescht, das Experiment von Fresnes zu generalisieren. „Die Isolierung von radikal-islamischen Häftlingen muss zum Regelfall werden“, sagte Valls. Der sozialistische Abgeordnete Joachim Pueyo hält dies für einen schweren Fehler. Es dürfe kein Ausnahmerecht in den Haftanstalten entstehen. „Die Gefahr ist, dass radikale Islamisten schon bei Haftbeginn fordern, in die sogenannte isolierte Gruppe aufgenommen zu werden, um unter Gleichgesinnten zu sein“, sagte Pueyo. Auch sei vollkommen unklar, nach welchen Kriterien die Auswahl der Häftlinge erfolge. Während der nationalen Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge verhallten laut „Le Figaro“ aus mehreren Haftanstalten „Allah akbar“-Rufe.