Griechische Schuldenkrise : Es kann nur noch schlimmer werden
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Typisches Straßenbild: Jeder dritte Grieche ist selbstständig oder freiberuflich tätig. Hier, ein Ladenbesitzer in Athen. Bild: dpa
Griechenland ist ein Land der Einzelhändler und kleinen Handwerksbetriebe. Gerade diese leiden aber besonders in der Krise - und sie haben wenig Hoffnung, dass sich daran so schnell etwas ändern wird.
Panagiotis Seretis ist 34 Jahre alt, er sieht aber älter aus. Seine Hände sind von Warzen übersät. Sie wuchern seit einigen Jahren. Er verschränkt die Arme rasch hinter seinem Rücken, lehnt sich an die Wand. „Stress, ein wahnsinniger Druck“, sagt er wortkarg. Nervös blinzeln seine dunklen Augen. Gelegentlich betreten Leute aus der Nachbarschaft sein Elektrogeschäft. Sie kaufen Kleinigkeiten, immer nur für ein paar Euro. An der Wand hängen Kopfhörer und Fernbedienungen für Fernsehgeräte, von der Decke weit ausladende Antennen, da sind CDs gestapelt, dort stehen verpackte CD-Spieler. Nicht gerade Produkte, die für den technischen Fortschritt stehen.
So sah das Geschäft vielleicht schon vor zwanzig Jahren aus. Damals hatte es sein Vater gegründet und eingerichtet. Galatsi, ein Athener Vorort im Norden, wuchs. Menschen, die nach Athen zogen, ließen sich hier nieder. Sie brauchten alles, auch Elektroprodukte. Es war eine gute Zeit. Die vielen kleinen Geschäfte und Handwerksbetriebe boomten. Eine bescheidene Mittelschicht entwickelte sich in dem Viertel. Das war im Zeitalter der Drachme. Der Vater ging in Rente, der Sohn übernahm. Die Umsätze sind seither bescheiden geworden, und Panagiotis Seretis hat selbst Mühe, die monatliche Miete von 1000 Euro für die 20 Quadratmeter aufzubringen. „Der Umsatz liegt heute mindestens 40 Prozent unter dem der guten Jahre“, sagt Seretis. „Deshalb diese Hände.“ Er zeigt sie jetzt ohne Scham.
Noch mehr Kürzungen bedeuten noch weniger Umsatz
Würde seine Frau nicht arbeiten, die vierköpfige Familie könnte längst nicht mehr von dem Geschäft leben. Erst hatte die Teuerung, die mit der Einführung des Euros verbunden war, den Umsatz gedrückt. Der wirkliche Niedergang setzt aber 2007 ein, als sich große Ketten wie Praktiker und auch Supermärkte in Griechenland niederließen. Die waren billiger, sie hatten auch ein größeres Angebot als Panagiotis Seretis. Die Leute aus dem Viertel kauften nun dort ein.
Mit dem neuen Programm der Regierung werde alles nur noch schlimmer, fürchtet der Ladeninhaber. Die Steuern steigen weiter, und auf den zu erwartenden Gewinn für 2016 muss er bald eine Abschlagszahlung von 100 Prozent zahlen. „Ob ich dann Umsatz haben werde oder nicht.“ Und nach neuen Kürzungen von Gehältern und Renten werden die Menschen in Galatsi noch weniger Geld haben, um bei ihm einzukaufen.
Die Geschichte des Panagiotis Seretis steht für das Schicksal vieler Griechen. Griechenland ist das Land der Kleingewerbetreibenden. Jeder dritte Grieche ist selbständig und freiberuflich tätig. Meist mit einem kleinen Geschäft oder als Handwerker, in der Regel als Familienbetrieb. „Die Gesellschaft strukturiert sich um Familien herum“, sagt Thomas Maloutas, Professor für soziale Geographie an der Athener Harokopio Universität und früherer Direktor des Nationalen Zentrums für Sozialwissenschaften. In den südlichen Mittelmeerländern gebe es keinen Wohlfahrtsstaat wie im Norden. Schutz und Hilfe findet der Einzelne bei der Familie. In den vergangenen Jahren hat staatliche Politik diese soziale Funktion der Familie noch gefördert.
Opfer der Deregulierung sind immer die Schwachen
Das Straßenbild von Galatsi unterscheidet sich nicht von dem anderer Viertel großer und kleiner griechischer Städte. Die Häuser sind vier oder fünf Stockwerke hoch, tiefgezogene Vorhänge spenden auf den Balkonen Schatten, ebenerdig reiht sich ein Einzelhandelsgeschäft an das andere, unterbrochen mal durch ein Café, eine kleine Werkstatt.
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Eigentlich müsste Griechenland, dessen Wirtschaft auf solchen kleinen Einheiten basiert, diese doch unterstützen – ohne jedoch zum Protektionismus zurückzukehren, sagt Professor Maloutas. Es sollte seiner Ansicht nach verhindert werden, dass diese kleinen Betriebe verschwinden und sich die Wirtschaftsstruktur auflöse. Denn unvermeidbar sei es ja nicht, dass großes internationales Kapital die kleinen Betriebe verdränge. Die Deregulierung – die die Großen gegenüber den Kleinen begünstige, da sie gleiche Bedingungen für ungleiche Akteure festschreibe – sei schließlich ein politisches Projekt. Und mit dem Euro dringe die neoliberale Politik in die Peripherie Europas vor, womit sich der Strukturwandel beschleunige. Denn der Euro ermöglicht den global agierenden Unternehmen, selbst an kleinen Orten wie Galatsi direkt einzugreifen. Dieser Prozess müsse gesteuert werden, glaubt Maloutas, nicht zuletzt um der Aushöhlung der gesellschaftlichen Strukturen entgegenzuwirken, fordert der Wissenschaftler, der über die Entwicklung urbaner Stätten geforscht hat.