Antisemitismus : Europas Juden fühlen sich bedroht
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Opfer des Antisemitismus: Biographien auf den Stühlen des Denkmals Leipziger Synagoge erinnern an die am 09.11.1938 ermordeten Bürger der Stadt. Bild: dpa
Am Vorabend des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht fühlen sich Menschen jüdischen Glaubens in Europa wieder zunehmend bedroht und angefeindet. Die EU warnt vor weit verbreitetem Antisemitismus.
Menschen jüdischen Glaubens fühlen sich in Europa zunehmend angefeindet und bedroht. Das geht aus einer groß angelegten Umfrage hervor, die die EU-Grundrechteagentur (FRA) am Freitag in Wien veröffentlicht hat. Der Bericht basiert auf den Antworten von 5 847 jüdischen Befragten in acht Ländern, in denen Schätzungen zufolge rund 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung der EU leben. Darunter auch in Deutschland.
44 Prozent der befragten jüdischen Bürger geben darin an, dass der Antisemitismus in ihrer Wahrnehmung in den letzten fünf Jahren stark zugenommen habe. Weitere 32 Prozent glauben, die Judenfeindlichkeit sei moderat gestiegen. 21 Prozent geben an, in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Beschimpfungen, Belästigungen oder körperlicher Gewalt geworden zu sein.
Sorge wegen Internethetze
Nur fünf Prozent sind der Ansicht, der Antisemitismus in ihrem Heimatland habe in der jüngsten Zeit abgenommen. Den dramatischsten Antisemitismus-Anstieg nehmen demnach französische Juden wahr, dicht gefolgt von Menschen in Ungarn. In Deutschland machen sich ein Knappes Drittel der Juden Sorgen über eine deutliche Zunahme antisemitischer Ressentiments. In der Bundesrepublik leben rund 120.000 Juden. Sie stellen damit die drittgrößte jüdische Gemeinde in Europa, hinter Frankreich und Großbritannien.
Besonders beunruhigt zeigten sich die Befragten über Anfeindungen und Hetzreden im Internet. Drei Viertel halten digitalen Antisemitismus für ein Problem. „Das wirft Fragen auf, wie sich im Internet der Schutz der Grundrechte garantieren lässt, während gleichzeitig die Meinungsfreiheit geachtet wird“, schreiben die FRA-Experten. Sie regen an, in den einzelnen Ländern Polizeieinheiten einzurichten, die das Internet in Bezug auf Hasskriminalität überwachen und bei Bedarf Ermittlungen aufnehmen. Außerdem sollten die Regierungen dazu ermutigen, antisemitische Websites der Polizei zu melden.
Die Behörde fordert auch Untersuchungen darüber, wie sich der Opferschutz stärken lässt, etwa unter Beteiligung jüdischer Verbände. Ihr zufolge hat jeder zweite Jude Angst, in den nächsten zwölf Monaten Opfer einer verbalen Attacke zu werden, während jeder dritte sogar körperliche Angriffe fürchtet. In Deutschland hat ein Viertel aller Juden schon darüber nachgedacht, das Land zu verlassen, in Ungarn und Frankreich sogar jeder zweite.
„Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sollten antisemitische Äußerungen öffentlich verurteilen“, schlägt die Grundrechteagentur vor. „Antisemitismus darf keinen Platz in unserer heutigen Gesellschaft haben.“