EU-Sanktionen gegen Russland : Borrell geht auf Konfrontationskurs zu Orbán
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Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 18. Juli 2022 in Brüssel Bild: AFP
Viktor Orbán rückt von den Strafmaßnahmen gegen Moskau ab. Der Außenbeauftragte Borrell hält dagegen – und weiß die anderen Minister hinter sich. Doch eine gewisse Müdigkeit macht sich breit.
Am Montagmorgen hatte Josep Borrell ein Hühnchen zu rupfen. „Einige europäische Führer“ hätten gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland ein Fehler seien und Europa mehr träfen als Russland selbst, schnaubte der EU-Außenbeauftragte, als er zum Rat der Außenminister eintraf, bei dem es wieder mal um den russischen Krieg gegen die Ukraine ging. Man solle sich doch bitte mal die Entwicklung der Rohölpreise ansehen, forderte der Spanier. Sie seien jetzt auf dem Stand vor Kriegsbeginn. Nach dem Angriff seien sie in die Höhe geschossen, nach dem Beschluss der EU-Staaten über ein Ölembargo gegen Russland aber wieder gefallen. „Wie kann also jemand behaupten, dass das Embargo den Preis in die Höhe getrieben hat? Haben die keine Augen? Sehen die sich keine Diagramme an?“
Der „Jemand“, den Borrell meinte, ist Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident hatte in seiner wöchentlichen Radio-Show am Freitag ordentlich ausgeteilt. Als die Sanktionen verhängt worden seien, hätten alle geglaubt, sie würden den Krieg abkürzen, behauptete Orbán. Tatsächlich sei das Gegenteil eingetreten: Der Krieg dauere immer noch an, und die Europäer hätten sich selbst mehr geschadet als Russland. Das „alle“ schloss natürlich Orbán selbst aus. „Ungarn war immer gegen Sanktionen“, sagte er und wählte ein drastisches Bild: „Ich muss sagen, dass ich zuerst dachte, wir hätten uns selbst ins Knie geschossen. Aber jetzt ist klar, dass sich die europäische Wirtschaft selbst in die Lungen geschossen hat und wir sehen überall, wie sie nach Luft schnappt.“
Tatsächlich hat Ungarn alle Sanktionen gegen Russland mitgetragen, wenn auch mit geringer Begeisterung. Erst beim sechsten Paket, als es ums Öl ging, stellte Orbán sich quer und handelte für sein Land eine unbefristete Ausnahme heraus. Gleichwohl musste die Regierung vorige Woche den Energie-Notstand ausrufen, die Gasreserven sind auf niedrigem Stand, und Orbáns Modell subventionierter Tarife funktioniert nicht mehr. Seit Tagen wird in Budapest gegen Preis- und Steuererhöhungen demonstriert. Der Regierungschef steht selbst unter Druck – und gibt ihn, wie üblich, an Brüssel weiter.
Borrells empfindliche Reaktion zeigt, dass Orbán damit immerhin einen Nerv trifft. In allen Mitgliedstaaten dreht sich die öffentliche Debatte jetzt um die hohe Inflation, die horrenden Energiepreise und die Frage, ob Russland überhaupt noch Gas liefern wird. Gebannt starren nicht nur deutsche Politiker auf den kommenden Donnerstag: Wird wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 fließen, wenn die Wartungsarbeiten vorüber sind – und wie viel? Schon am Mittwoch will die EU-Kommission Empfehlungen zum Energiesparen bekanntgeben, um die Union auf einen schwierigen Winter vorzubereiten. „Wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine nicht beenden, und wir werden die Sanktionen gegen Russland nicht beenden“, sagte der EU-Außenbeauftragte am Montag. „Wir brauchen strategische Geduld, strategische Resilienz.“