EU-Rechtsstaatsmechanismus : Ein Sieg der Parlamente
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Viktor Orban und Mateusz Morawiecki Bild: EPA
Am Ende erklärten sich alle zu Siegern. Aber im Kampf um die Rechtsstaatlichkeit in der EU haben nicht die Demokratiezerstörer in Ungarn und Polen gewonnen, sondern die Parlamente. Ein Gastbeitrag.
Es war ein langer und harter Kampf, bis die EU die Vergabe von Geld aus dem Haushalt und dem Corona-Fonds an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit geknüpft hatte. Alle erklärten sich zum Sieger: Orbán und Morawiecki, weil sie meinen, den Rechtsstaatsmechanismus genug geschwächt und bis zur Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof Zeit erkauft zu haben. Merkel, weil sie für ihre Ratspräsidentschaft etwas auf der Habenseite verbuchen kann.
Am Ende gibt es einen Mechanismus, der nicht die Demokratien in den Mitgliedstaaten retten wird, aber ein weiteres Instrument gegen korrupte Machenschaften bei Vergabe von EU-Geldern und den Abbau der unabhängigen Justiz schafft. Dies ist der Erfolg der Parlamente, weil sie standhaft und geschlossen geblieben sind!
Große Erwartungen – große Enttäuschung
Groß waren die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft, beim Rechtsstaatsmechanismus die Blockaden aufzubrechen. Europaminister Michael Roth kämpfte hart für den Rechtsstaat und etablierte einen regelmäßigen Rechtsstaats-Check im Rat. Doch bei der Frage der Verknüpfung von Geldverteilung mit der Rechtsstaatlichkeit zogen die Staats- und Regierungschefs das Verfahren an sich. Dadurch musste beim Juli-Gipfel eine einstimmige Lösung gefunden werden. Das Resultat: ein vager Kompromiss. Statt dass die Sanktionsvorhaben der Kommission nur durch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten aufgehalten werden können, brauchte es jetzt eine qualifizierte Mehrheit, um Sanktionen einzusetzen.
Es kam noch schlimmer: Der Rat legte bei den weiteren Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament einen Vorschlag vor, der kein Rechtsstaats- sondern ein reiner Antikorruptionsmechanismus war: Die Unabhängigkeit der Justiz war unter anderem als Kriterium gestrichen, auch der Bezug auf die demokratischen Grundwerte nach Artikel 2 des EU-Vertrages war plötzlich verschwunden.
Die Signale mehrten sich, dass Kanzlerin Merkel den Rechtsstaatsmechanismus noch weiter aufweichen würde, um Haushalt und Hilfsfonds durchzubekommen. Das ist Ausdruck eines jahrelangen Appeasements der Staats- und Regierungschefs gegenüber den Demokratiezerstörern, die die EU nur als eine Gemeinschaft des Marktes sehen, aber nicht als eine der Werte.
Die Parlamente waren die Rettung
In dieser Situation waren die Parlamente die Rettung. In Anträgen und Petitionen appellierten Parlamentarier aus dem Europaparlament und aus den nationalen Parlamenten immer wieder gemeinsam an die deutsche Ratspräsidentschaft, nicht vor Orbán einzuknicken. Das Europaparlament machte über Fraktionsgrenzen hinweg klar: Mit uns wird es keinen EU-Haushalt ohne einen echten Rechtsstaatsmechanismus geben. Alle großen Fraktionen – inklusive Manfred Weber und seiner EVP-Fraktion – standen hier eng beisammen und hielten dem Druck aus den Nationalstaaten stand, die mitten in der Krise auf eine zügige Auszahlung der Hilfsgelder drängten. Gerade den Abgeordneten aus Staaten wie Italien und Spanien gilt unser großer Respekt, die das Geld besonders dringend benötigen und sich trotzdem nicht haben kaufen lassen. Eben weil ein Markt ohne Werte am Ende auch nichts wert ist. Die Unterhändlerinnen und Unterhändler des Europaparlaments erreichten eine Einigung, die zumindest die Unabhängigkeit der Gerichte wieder zur Bedingung macht und auf die Grundwerte aus Artikel 2 verweist.
Doch das Appeasement geht weiter. Trotz schlimmster Anfeindungen des Fidesz-Abgeordneten Tamás Deutsch, der Manfred Weber mit der Gestapo verglich, wirft ihn die EVP nicht raus. Ganz im Gegenteil: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht sich gegen einen Ausschluss von Fidesz aus der EVP aus. Noch keiner der drei Bewerber um den CDU-Vorsitz hat eine klare Haltung gegen Orbán erkennen lassen, aus dem Adenauer-Haus kommt dröhnendes Schweigen. Während Fidesz Grundrechte abbaut und EU-Gelder veruntreut, erteilt ihnen diese Mitgliedschaft weiter eine Absolution. Wenn den Konservativen ihre Werte noch etwas wert sind, bleibt der Rauswurf die einzig logische Konsequenz.
Ob diese Einigung auch ein Sieg für die Rechtsstaatlichkeit in Europa sein wird, liegt nun an der EU-Kommission. Sie muss den Mechanismus auslösen und anwenden. Wenn das Geld nicht mehr an grundwertefeindliche Nationalregierungen geht, muss es an Kommunen und Projekte vor Ort fließen, die auf der Seite der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit stehen. Die Parlamente als Herzkammern der Demokratie werden weiter dafür an ihrer Seite kämpfen.