EuGH : Luxemburger Richter heben „absoluten Vorrang“ von Europarecht hervor
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Proteste gegen Korruption in der Justiz in Bukarest Anfang März Bild: AFP
Der EuGH hat deutliche Worte gesprochen: Rumänische Richter sollen Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die der Korruptionsbekämpfung entgegenstehen, missachten.
Anlässlich zweier Vorlagefragen aus Rumänien hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag grundlegende Ausführungen zum Verhältnis von nationalem und Europarecht gemacht. Die Richter heben in ihrer Entscheidung hervor, dass der Vorrang von Europarecht absolut gelte. Nationale Bestimmungen könnten dem nicht entgegenstehen – nicht einmal solche mit Verfassungsrang.
Richter des rumänischen Obersten Gerichtshofs sind vor den EuGH gezogen. Sie hatten mehrere Parlamentarier und Minister wegen Korruption verurteilt, das rumänische Verfassungsgericht hob die Entscheidungen aber wieder auf. Die Verfassungsrichter monierten, dass die Verfahren vor einer spezialisierten Kammer hätten geführt werden müssen. Auch für die genaue Besetzung des Spruchkörpers machten sie Vorgaben.
Auch am Landgericht Bihor ging es um Korruption und auch dort wandte man sich wegen einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes an den EuGH. Demnach dürfen Beweismittel, die mithilfe des rumänischen Nachrichtendienstes erhoben wurden, in Strafverfahren nicht verwendet werden. Tatsächlich ist diese Verwertung heikel, denn der rumänische Inlandsgeheimdienst SRI agiert ohne jede rechtsstaatliche Kontrolle.
Die Richter aus Bukarest und Bihor haben sich an den EuGH gewandt, weil Rumänien europarechtlich zur Bekämpfung von Korruption verpflichtet ist. Angesichts dessen und angesichts des Vorrangs von Europarecht wollten sie wissen, wie mit den Urteilen des Verfassungsgerichts umzugehen sei. Die Richter berufen sich auf ihre Unabhängigkeit. Sie müssen in Rumänien mit Disziplinarverfahren rechnen, wenn sie die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts missachten.
Die Entscheidung aus Luxemburg ist eindeutig. Laut EuGH dürfen Urteile des rumänischen Verfassungsgerichts nicht angewandt werden, wenn die systemische Gefahr bestehe, dass Korruption zum Nachteil der EU ungestraft bleibe. Die Organisation der Justiz sei grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten; das gelte auch für die Besetzung einzelner Gerichtskammern. Diese Dinge sind tatsächlich nicht europarechtlich harmonisiert.
Der EuGH schränkt aber ein: Auch hierbei müssten die Mitgliedstaaten ihre europarechtlichen Verpflichtungen beachten. Dazu gehöre im Fall Rumäniens eine effektive Bekämpfung der Korruption. Dem stünden die Urteile des Verfassungsgerichts entgegen, so die Luxemburger Richter. Die Entscheidungen führten schließlich dazu, dass Strafverfahren abermals verhandelt und in die Länge gezogen würden. Der EuGH beschreibt hier ein Phänomen, das grundsätzlich jedes Rechtssystem mit mehreren Instanzen kennt.
Besonders eindringlich heben die Luxemburger Richter den absoluten Vorrang des Europarechts hervor. Der Gerichtshof hat ihn seit 1964 in seiner Rechtsprechung entwickelt. In den Verträgen ist er nicht normiert. Die nun noch einmal sehr generellen Ausführungen des EuGH lesen sich wie eine Antwort auf Widerstände gegen den Vorrang, die jüngst etwa das polnische Verfassungsgericht formuliert hat.