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Krise in der Ukraine : Barrosos ungedeckter Scheck

Die Krise in der Ukraine könnte beim EU-Russland-Gipfel in der kommenden Woche die Mienen verfinstern: EU-Kommissionspräsident Barroso, Russlands Präsident Putin und EU-Ratspräsident Van Rompuy (Archivbild vom Treffen im Dezember 2012) Bild: AFP

Brüssel droht der Ukraine mit Sanktionen – doch die meisten Mitgliedstaaten sind dagegen. So bleibt der Europäischen Union fürs Erste nur die Vermittlerrolle. Die Lage in Kiew bleibt angespannt. Der EU-Russland-Gipfel bekommt so eine besonders pikante Note.

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          Die EU hat auf die Zuspitzung der Lage in der Ukraine bisher mit der untersten Eskalationsstufe der Diplomatie reagiert: Sie hat der Führung des Landes mit „Folgen“ gedroht, ohne weiter auszuführen, was damit gemeint sein könnte. Aber immerhin hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso diese Drohung von seinen Sprechern mehrere Tage lang in Brüssel wiederholen lassen und offenbar selbst in einem Telefongespräch mit Präsident Viktor Janukowitsch ausgesprochen. Einige Europaabgeordnete äußerten sich ähnlich, so dass der Eindruck entstand, die EU bereite ernsthaft Sanktionen gegen Kiew vor.

          Nikolas Busse
          Verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.

          Nun stellt sich allerdings heraus, dass Barroso einen ungedeckten Scheck ausgestellt hat. Sanktionen können in der EU nur mit einstimmigem Beschluss der Mitgliedstaaten verhängt werden, und die haben derzeit offenbar kein Interesse an Zwangsmaßnahmen. Auf einer Botschaftersitzung in Brüssel sprach sich nur Litauen für die Verhängung von Sanktionen aus. Das hatte die Regierung des kleinen baltischen Staates schon vorher öffentlich kundgetan, und es passt zu ihrer bisherigen Linie in der Sache.

          Merkel: Nicht der Augenblick für Sanktionen

          Litauen hat sich, auch während seiner EU-Ratspräsidentschaft im vergangenen Halbjahr stets besonders vehement für eine Stärkung der proeuropäischen Kräfte in der Ukraine und den anderen Ländern der sogenannten „östlichen Partnerschaft“ ausgesprochen. Dafür wurde das Land sogar Ziel der üblichen Moskauer Vergeltungsmaßnahmen, die in diesem Fall in einem Einfuhrverbot für litauische Milchprodukte bestanden.

          Eine andere Überlegung war, zumindest den Auswärtigen Dienst der EU ein Optionenpapier für das weitere Vorgehen erstellen zu lassen, in dem mögliche Sanktionen dann ausbuchstabiert würden. Dafür waren aber nur Polen, Lettland und Schweden. Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter die Schwergewichte Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien wollten nicht, dass solch ein Papier verfasst wird. Bundeskanzlerin Merkel hatte schon am Donnerstag öffentlich gesagt, jetzt sei nicht der Augenblick für Sanktionen.

          Einreiseverbote und eingefrorene Auslandskonten?

          Vorstellbar, so berichten Diplomaten, wären in dieser Phase ohnehin nur sehr gezielte Sanktionen. In Fällen, in denen eine Regierung Gewalttaten gegen Demonstranten oder die Opposition verübt, verhängt die EU üblicherweise Einreiseverbote gegen ausgewählte Personen im Machtapparat; außerdem werden ihre Guthaben in der EU eingefroren. In der Regel handelt es sich dabei um verantwortliche Politiker oder hohe Beamte, sofern es Hinweise gibt, dass sie die Unterdrückung angeordnet haben oder daran beteiligt waren.

          Die amerikanische Regierung hat im Fall der Ukraine schon zu diesem Mittel gegriffen. Sie hat mehreren Leuten, die für Gewalttaten verantwortlich sein sollen, das Visum entzogen. In Brüssel gibt man jedoch zu bedenken, dass solche Maßnahmen selten Wirkung zeigen. Das autoritäre Weißrussland, gegen das seit Jahren erfolglose EU-Sanktionen bestehen, gilt als Beispiel.

          So bleibt der EU fürs Erste nur die Vermittlerrolle. Nachbarschaftskommissar Stefan Füle reiste am Freitag nach Kiew, wo er bis diesen Samstag Verhandlungen führen soll. Anfang der Woche soll dann eine Delegation des Europaparlaments folgen und am nächsten Donnerstag und Freitag die Außenbeauftragte Catherine Ashton. Alle dieser Gesandten haben den gleichen Auftrag im Gepäck: Sie sollen Regierung und Opposition davon überzeugen, ihren Dialog fortzusetzen. Die EU verlangt eine politische Lösung, mehr Repression und Gewalt will sie verhindern.

          EU-Russland-Gipfel: Moskau will nicht über die Ukraine reden

          Mitten in diese angespannte Lage fällt durch eine Laune des Kalenders ein EU-Russland-Gipfel, der seit längerem geplant war, und nun am Dienstag stattfindet. Dazu wird Präsident Wladimir Putin zu einem Zwiegespräch mit Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy in Brüssel erwartet. Auf der Tagesordnung stehen alle möglichen Themen, vom Handel bis Syrien, aber nicht nur die Presse dürfte das Treffen als einen informellen Ukraine-Rat interpretieren: auf der einen Seite des Tisches wird Janukowitschs Patron sitzen, der den Moskauer Einfluss in Kiew mit allen Mitteln verteidigt, auf der anderen die Freunde der Opposition, die das Land enger an die EU binden wollen.

          Die Russen haben allerdings schon vorab wissen lassen, dass sie auf dem Gipfel gar nicht über die Ukraine reden und erst recht keine Entscheidungen über das Schicksal des Landes treffen wollen. Das gehe nur in einem Dreiergespräch unter Einbeziehung Kiews, wie das Janukowitsch im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat. Die EU sieht das anders. Man werde auf dem Gipfel eine Botschaft zum Thema Ukraine überbringen und es werde hoffentlich eine Diskussion geben, sagte ein Sprecher der Kommission am Freitag.

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