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Rechtsstaatsbericht : EU-Kommission rügt Polen und Ungarn

Demonstranten protestieren am 4. Juli 2018 in Warschau gegen die Absetzung der Richterin Malgorzata Gersdorf. Bild: AFP

Die EU-Kommission attestiert Polen und Ungarn abermals erhebliche Defizite. Erstmals spricht sie außerdem Reformempfehlungen aus – auch gegenüber Deutschland.

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          Die EU-Kommission bemängelt weiterhin „systemische“ Rechtsstaatsdefizite in Polen und Ungarn. Das geht aus dem jährlichen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in allen 27 Mitgliedstaaten hervor, den die zuständigen Kommissare Věra Jourová und Didier Reynders am Mittwoch vorstellten. „Bezüglich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz bestehen weiterhin ernste Bedenken“, heißt es im Kapitel zu Polen. Über Ungarn heißt es, das Land habe den Bedenken in vorigen Rechtsstaatsberichten nicht Rechnung getragen.

          Thomas Gutschker
          Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

          Gegen beide Länder laufen nicht nur sogenannte Artikel-7-Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit. Sie haben wegen mangelnder Reformen bisher auch kein Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds erhalten. Gegen Ungarn wurde außerdem ein Verfahren zum Schutz des EU-Haushalts eröffnet. Der Bericht liefert keine Argumente dafür, einen milderen Kurs einzuschlagen. Jourová hatte sich kürzlich offen dagegen gewandt, Wiederaufbaumittel für Warschau freizugeben, nachdem die Kommission immerhin den Wiederaufbauplan des Landes genehmigt und sich dessen Regierung zu einer Reform des Disziplinarrechts verpflichtet hatte. Dabei waren die beiden für das Thema zuständigen Kommissare auf Betreiben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überstimmt worden.

          In dem Bericht bezweifelt die Kommission abermals die Unabhängigkeit des Landesjustizrats in Polen, der auch nach der Reform eine zentrale Rolle bei der Auswahl von Richtern spielt. Die Mitglieder des Gremiums werden vom Parlament bestimmt, allerdings kommen dabei ausschließlich Kandidaten zum Zuge, die von der Regierungsmehrheit vorgeschlagen werden. Reynders sagte am Mittwoch diplomatisch, es gebe „Raum für Verbesserungen“ bei der Umsetzung der polnischen Reform. Offiziell wird sie noch von der Kommission geprüft. Die muss ihr Urteil erst offenlegen, wenn Warschau die Auszahlung der ersten Milliarden-Tranche beantragt.

          Mit Ungarn verhandelt die Kommission noch über den Wiederaufbauplan des Landes. Die Regierung in Budapest hat einige Maßnahmen in Aussicht gestellt, um die weitverbreitete Korruption einzudämmen. Zugleich läuft ein Verfahren, das es erstmals erlauben würde, dem Land auch Mittel aus dem regulären EU-Haushalt zu streichen. Hier ist die Kommission gehalten, bis Ende des Monats konkrete Empfehlungen vorzulegen. Der Bericht von Mittwoch lässt keinerlei Fortschritte bei diesem Thema erkennen und bemängelt viele weitere Defizite, die seit Jahren bekannt sind.

          Deutschland soll seine Richter besser bezahlen

          Jourová hob gleichwohl den „präventiven Charakter“ des Berichts hervor, der die Grundlage von Debatten im Rat der Mitgliedstaaten und künftig auch im Parlament sein wird. Erstmals hat die Kommission ihre Analyse mit Empfehlungen zur Reform verknüpft. Dabei werden für jedes Land vier bis acht allgemeine Punkte aufgelistet, die sich aus der Analyse ergeben. Es handle sich dabei nicht um eine Revolution, gestand ein Beamter ein.

          In Deutschland gibt es laut dem Bericht langfristig Probleme mit der Rekrutierung von Personal und dem zu niedrigen Niveau der Richterbesoldung. Das Land soll sich beim nationalen „Pakt für den Rechtsstaat“ an europäischen Standards orientieren. Verbesserungsbedarf sieht die Kommission auch beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft. Genehmigungsverfahren müssten transparenter ablaufen, die „Abkühlungszeit“ für Minister und Staatssekretäre im Bund müsse länger sein. Die Mitwirkung von Lobbyisten an Gesetzen solle stärker offengelegt werden. Das Recht von Journalisten auf Auskunft durch Bundesbehörden solle gesetzlich verankert werden.

          Grundsätzlich bescheinigt die Kommission Deutschland aber eine leistungsfähige Justiz, die hohes Vertrauen genießt. Mehr als 75 Prozent der Bevölkerung hat sich in einer Umfrage entsprechend geäußert, ebenso in Finnland, Dänemark, Österreich, Luxemburg und in den Niederlanden. Dagegen vertrauen weniger als 30 Prozent der Befragten in der Slowakei, Polen und Kroatien ihren Richtern.

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