Mateusz Morawiecki und Ursula von der Leyen am Donnerstag in Brüssel Bild: dpa
Der Streit über die Rechtsstaatlichkeit in Polen geht auch auf dem EU-Gipfel weiter. Ministerpräsident Morawiecki will nicht nachgeben. Sein Land werde nicht „unter dem Druck von Erpressung“ handeln.
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Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki tauchte am Donnerstag früh in Brüssel auf. Es stand ein neuer Showdown über die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land bevor, diesmal im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Mit seinem Auftritt am Dienstag im Europäischen Parlament hatte der nationalkonservative Politiker zusätzlich Öl ins Feuer gegossen, als er der EU Erpressung und Willkür vorwarf. Selbst die stets beherrschte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war sichtlich genervt, als sie nach der mehr als vier Stunden langen Redeschlacht noch einmal ans Mikrofon trat. „Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Verfassungsgericht Artikel des Europäischen Vertrages in Frage stellt. Das trifft mitten ins Mark der Rechtsstaatlichkeit. Das hat es so noch nie gegeben“, sagte sie dem polnischen Regierungschef ins Gesicht. Würde es so weitergehen, im Stil der Konfrontation?
Zwei Kollegen nahmen den Polen ins Gebet, um das zu verhindern. Der erste war Emmanuel Macron. Der französische Präsident traf Morawiecki schon am Flughafen. Er habe in dem Gespräch seine Sorge über das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts geäußert, hieß es hernach aus dem Elysée-Palast. Macron habe Morawiecki ausdrücklich gebeten, den Dialog mit der EU-Kommission zu suchen, um eine Lösung zu finden. Die zweite, die auf den Polen einwirkte, war Angela Merkel. Beide trafen sich im Ratsgebäude, eine Stunde vor Beginn der Sitzung.
Auf dem Weg dorthin sagte die Bundeskanzlerin, sie unterstütze die Kommission, die 24 Milliarden Euro an Zuschüssen und weitere zwölf Milliarden Euro an Krediten eingefroren hat, die im Corona-Wiederaufbaufonds für Polen vorgesehen sind. Merkel wiederholte aber auch ihre Mahnung zu einem politischen Dialog mit Warschau: „Denn eine Kaskade von Rechtsstreitigkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof ist noch keine Lösung des Problems, wie Rechtsstaatlichkeit auch gelebt werden kann.“ Sie verwies auf das größere Problem, das nicht nur Polen betreffe. Wohin soll das europäische Projekt führen – zu der „immer engeren Union der Völker Europas“, wie es in Artikel eins des EU-Vertrags festgelegt ist? Oder zurück zu mehr Nationalstaatlichkeit? Artikel eins hat das polnische Verfassungsgericht ausdrücklich verworfen, ebenso die zentrale Rolle des Europäischen Gerichtshofs in Artikel 19.
Charles Michel wollte eine Debatte verhindern
Morawiecki verteidigte diese Entscheidung, die er selbst beantragt hatte, auch am Donnerstag. Er sagte abermals, dass seine Regierung nicht „unter dem Druck von Erpressung handeln werde“. Immerhin verwies er auch darauf, dass seine Regierung die Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof abschaffen wolle, um „Zweifeln“ zu begegnen, die der EuGH hege. Genau genommen, sind es keine Zweifel. Die Luxemburger Richter haben Warschau dazu verpflichtet. Morawiecki jedoch kann seinen Worten keine Taten folgen lassen: Sein eigener Justizminister Zbigniew Ziobro und dessen Partei Solidarisches Polen wollen an der Kammer festhalten, die zur Einschüchterung und Verfolgung politisch missliebiger Richter eingesetzt wird. Und eine eigene Mehrheit hat die PiS-Partei nicht.
Eigentlich wollte EU-Ratspräsident Charles Michel eine Debatte über Polen im Kreis der Chefs verhindern – nachdem sich die bei der vorigen Zusammenkunft im Juni schon über sexuelle Diskriminierung in die Haare geraten waren. Doch hatten mehrere Hauptstädte in den vergangenen Tagen signalisiert, dass man das Thema keinesfalls ignorieren könne. Der Niederländer Mark Rutte kam sogar mit einem förmlichen Auftrag seines Parlaments nach Brüssel, das Urteil zur Sprache zu bringen. „Wir müssen hart bleiben“, sagte er schon bei der Ankunft. „Unabhängigkeit der Justiz ist entscheidend, das ist nicht verhandelbar.“ Rutte unterstützte ausdrücklich die Sperrung der Corona-Milliarden. Es sei „sehr schwer zu sehen, wie ein großer neuer Geldtopf“ dem Land geöffnet werden könne, solange es nicht den Vorrang europäischen Rechts anerkenne. Auch Alexander De Croo, der belgische Premierminister, sagte, es sei „eine gute Sache“, dass die Wiederaufbau-Mittel blockiert seien. „Man kann nicht Mitglied im Club sein und sich nicht an die Regeln halten, die für jeden gelten.“