EU-Beitrittsverhandlungen : Eine Brücke für Frankreich
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Neue Strategie: Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi Bild: Getty
Die EU-Kommission will Beitrittsverhandlungen besser organisieren. Sie greift damit Ideen aus Paris auf. Das dürfte Frankreich dazu bewegen, sein Veto gegenüber Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien aufzuheben.
Seit dem Europäischen Rat im Oktober lastet ein Veto auf der Europäischen Union: Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte es abgelehnt, Beitrittsverhandlungen mit zwei Ländern zu eröffnen. Bei Nordmazedonien stand er allein, bei Albanien wurde er von den Niederlanden und Dänemark unterstützt. Der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warf Macron vor, er habe einen „historischen Fehler“ begangen. Die neue EU-Kommission hat wochenlang sondiert, wie sie aus dem Schlamassel wieder herauskommt. Das Ergebnis legte EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi am Mittwoch in Brüssel vor. Es wirkte recht technisch, sollte aber einen hochpolitischen Zweck erfüllen: den Weg für Verhandlungen mit beiden Staaten bis zum Treffen der Staats- und Regierungschefs im März freizumachen.
Várhelyi nutzte dafür eine Vorlage, die Frankreich Anfang November selbst gegeben hatte. Damals verteilte Paris ein Thesenpapier an die Mitgliedstaaten, in dem es Änderungen in den Beitrittsverhandlungen anmahnte. Einige Kritikpunkte darin wurden weithin geteilt, auch von den Beitrittskandidaten selbst. Der Erweiterungskommissar aus Ungarn erinnerte am Mittwoch daran. Im Vertrauen hätten ihm mehrere Staaten ihr „Unbehagen“ am derzeitigen Verfahren bekundet, nicht bloß die öffentlich bekannten.
Wichtige Punkte werden zusammengelegt
Die wichtigste Idee, die Várhelyi aus dem französischen Papier übernahm, betrifft die stringente Organisation der Verhandlungen. Bislang wird jedes der 35 Verhandlungskapitel einzeln eröffnet. Künftig werden die Kapitel in sechs thematische Gruppen („Cluster“) zusammengefasst, wie Binnenmarkt und „Grüne Agenda“. Wenn ein Staat die Vorbedingungen erfüllt, werden alle Kapitel einer Themengruppe auf einmal eröffnet; geschlossen werden sie dann jedes für sich. Dadurch sollen die wichtigen und dringenden Reformen in jedem Sektor klarer hervortreten. Außerdem will die Kommission vermeiden, dass – wie bisher – auf zu vielen Baustellen gleichzeitig gearbeitet wird. Nach Várhelyis Angaben dauert es deshalb sechs bis acht Jahre, um ein einzelnes Kapitel zu schließen. Künftig strebt er an, eine vollständige Themengruppe binnen eines Jahres abzuschließen – falls sich die Kandidaten maximal anstrengen.
Den Themenbereich „Grundsätzliches“ will der Erweiterungskommissar zuerst eröffnen und zuletzt schließen. Dazu gehören der Schutz von Grundrechten, eine unabhängige Justiz, funktionierende demokratische Institutionen und die transparente Vergabe öffentlicher Aufträge. Das hatte auch Paris verlangt. Es entspricht allerdings schon seit 2011, als die Verhandlungen mit Montenegro begannen, der üblichen Praxis. Anders als Frankreich will Várhelyi es jedem Kandidaten selbst überlassen, wie er seine Prioritäten in den Verhandlungen setzt – statt allen dasselbe Korsett zu verpassen. Der Ungar will zugleich die finanziellen Anreize dafür erhöhen, dass Länder sich frühzeitig in funktionierende Marktwirtschaften verwandeln. Dazu wird die Kommission bis Mai eine weitere Mitteilung vorlegen. Paris wollte die wirtschaftliche Integration auf die Schlussphase jeglicher Verhandlungen schieben – ein durchschaubarer Versuch, den eigenen Markt gegen Konkurrenz abzuschotten.