EU-Beitritt der Ukraine : Kiew will so schnell wie möglich dazugehören
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Nach russischem Beschuss: Ein ukrainischer Feuerwehrmann am Freitag inmitten von Trümmern in Cherson Bild: AFP
Die EU-Spitzen nennen in Kiew kein konkretes Datum für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Unterdessen drückt die Regierung in Kiew weiter aufs Tempo.
Für Ursula von der Leyen begann der Freitag mit einem Fototermin im Hauptpostamt von Kiew. Dort können Bürger seit Beginn des Monats alte Glühbirnen gegen energiesparende LED-Lampen eintauschen. In den ersten drei Tagen gingen schon 750.000 Lampen über den Schalter des Postamts, erfuhr die EU-Kommissionspräsidentin. Insgesamt hat die Europäische Union 35 Millionen Lampen gespendet. Es soll eine praktische Hilfe sein angesichts der knappen Stromversorgung – und ein kleines Zeichen in jedem Haushalt dafür, dass das Land weiter unterstützt wird. Wie wichtig das ist, zeigte sich kurz darauf: In Kiew und im ganzen Land wurde wieder Luftalarm ausgelöst.
Da waren von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schon zu ihrem Gipfeltreffen zusammengekommen. Auch sie mussten vorübergehend in einen Luftschutzbunker gehen. Bei dem Treffen ging um die großen Fragen: die weitere Unterstützung, Sanktionen gegen Russland, den Wiederaufbau des Landes und, vor allem, die weitere Annäherung der Ukraine an die Europäische Union. Für Kiew ist das die oberste Priorität, wie Selenskyj anschließend deutlich machte: „Das Ziel besteht darin, in diesem Jahr mit Beitrittsverhandlungen zu beginnen.“ Sein Ministerpräsident Denys Schmyhal war am Vortag noch weiter gegangen und hatte gesagt, „wir vollen vollständig vorbereitet sein für eine Mitgliedschaft im nächsten Jahr“.
In der maßgeblichen Abschlusserklärung des Treffens ist das viel vorsichtiger formuliert. „Die EU wird über weitere Schritte entscheiden, sobald alle Bedingungen erfüllt sind, die in der Einschätzung der Kommission (zur Verleihung des Kandidatenstatus) dargelegt sind“, heißt es lapidar. Die Ukraine bekräftigt ihren Willen, „so bald wie möglich“ mit Verhandlungen zu beginnen – ohne Datum. Bescheinigt werden ihr „beträchtliche Anstrengungen“, nicht aber „Fortschritte“, wie es in einer vorigen Fassung noch geheißen hatte.
„Beeindruckende“ Fortschritte, „beträchtliche“ Anstrengungen
Die öffentliche Kommunikation der EU-Spitzen ging etwas darüber hinaus. Nachdem von der Leyen schon am Donnerstag „beeindruckende Fortschritte“ ausgemacht hatte, sprach Michel am Freitag von „beträchtlichen Anstrengungen und Fortschritten“. Die Zukunft der Ukraine liege in der Europäischen Union, sagte er. Die EU und die Ukraine seien eine Familie. „Ihr Schicksal ist unser Schicksal.“ Freilich nannte keiner von beiden konkrete Daten. Die Kommission will den Regierungschefs im März eine erste mündliche Einschätzung dazu geben, wie weit die Ukraine bei den insgesamt sieben Auflagen vorangekommen ist. Im Oktober folgt dann ein ausführlicher schriftlicher Bericht. Auf dieser Grundlage werden die Staaten darüber beraten, ob Beitrittsverhandlungen eröffnet werden können. Dass sie binnen eines Jahres abzuschließen wären, glauben aber nicht einmal die größten Unterstützer der Ukraine.
Freilich kann sich das Land auch ohne formelle Verhandlungen an europäische Standards annähern. Das 2014 geschlossene Assoziierungsabkommen und dessen Handelsteil gehen weit über das hinaus, was bis dahin üblich war. Die Ukraine erfülle deshalb schon etwa siebzig Prozent der europäischen Rechtsvorschriften, hieß es im vorigen Jahr. Mit dem Krieg hat sich die Integration in den Binnenmarkt weiter beschleunigt. Im laufenden Jahr bleiben alle Zölle und Mengenbeschränkungen für die Einfuhr von Gütern aus der Ukraine ausgesetzt. Mit diesem Schritt war es im vorigen Jahr gelungen, trotz des Krieges den wechselseitigen Handel stabil zu halten. Er stieg sogar um 17 Prozent.
Beschlossen wurde in Kiew ein 15-Punkte-Plan mit weiteren Schritten zur wirtschaftlichen Integration in den nächsten zwei Jahren. „Wir werden de facto Mitglieder im Binnenmarkt sein“, sagte Selenskyj. Um sechs Monate verlängert wurde eine freiwillige Vereinbarung der Telekommunikationsanbieter, keine Roaminggebühren für Anrufe zwischen der EU und der Ukraine zu erheben. Das ist besonders wichtig für jene etwa vier Millionen Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind. Angestrebt wird ein dauerhaftes Abkommen.
Von der Leyen nutzte die Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen, um Einblick in das nächste, dann zehnte Sanktionspaket gegen Russland zu geben. Es soll den Export weiterer High-Tech-Komponenten beschränken, die etwa zum Bau von Drohnen erforderlich sind. Außerdem wolle man Lücken in den bisherigen Maßnahmen schließen, sagte sie. Fertig sein soll es bis zum 24. Februar, dem Jahrestag des Überfalls.
In Brüssel haben sich die EU-Staaten derweil auf einen Vorschlag der EU-Kommission geeinigt, der einen Preisdeckel für russische Ölprodukte vorsieht. Das gab die schwedische EU-Präsidentschaft am Freitagabend bekannt. Laut EU-Diplomaten soll eine Preisobergrenze von 100 Dollar je Barrel auf hochwertige Ölprodukte wie Diesel und von 45 Dollar je Barrel auf günstigere Produkte wie Heizöl gelten. Mit der Obergrenze will die EU Russlands Finanzquellen für den Krieg in der Ukraine stärker beschneiden. Anfang Dezember hatten die EU, die G7 und Australien einen Deckel von 60 Dollar für russisches Rohöl verhängt.