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Festnahme in Spanien : Der lange Arm der türkischen Justiz

Hamza Yalcin soll den türkischen Präsidenten Erdogan (Foto) verunglimpft haben. Bild: AP

Die türkischen Behörden gehen nun auch im Ausland gegen regimekritische Journalisten vor: Auf Ersuchen Ankaras wird ein Reporter aus Schweden im Spanien-Urlaub festgenommen. Ihm droht eine Haftstrafe. Ist das auch in Deutschland möglich?

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          Hamza Yalcin hatte ein paar Tage Urlaub in Spanien gemacht. Danach wollte der türkische Journalist von Barcelona nach London weiterfliegen. Stattdessen landete er in einem spanischen Gefängnis. Dort muss er nun möglicherweise mehrere Wochen bleiben: Die türkischen Behörden gehen nicht mehr nur zu Hause, sondern auch im Ausland gegen regimekritische Pressevertreter vor. Bei der Ausweiskontrolle am El-Prat-Flughafen in Barcelona stellten die Beamten fest, dass gegen den 59 Jahre alten Journalisten und Autor ein von Interpol übermitteltes internationales Fahndungsersuchen aus der Türkei vorlag. Angeblich handelte es sich um eine sogenannte Red Notice; die rote Farbe des Vermerks macht die Dringlichkeit deutlich.

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          Laut Presseberichten werfen türkische Behörden Yalcin vor, er habe Präsident Recep Tayyip Erdogan verunglimpft und „terroristische Propaganda“ betrieben. Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Dogan soll der Journalist zudem „terroristische Beziehungen“ zur verbotenen linksextremen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C) unterhalten.

          Dabei hatte Hamza Yalcin die Türkei schon vor vielen Jahren verlassen. 1984 kam er zum ersten Mal nach Schweden und besitzt neben der türkischen auch die Staatsangehörigkeit des skandinavischen Landes. Ende der siebziger Jahre wurde er in der Türkei zum ersten Mal wegen seiner Mitgliedschaft in der DHKP festgenommen. Später kam er dort ins Gefängnis, wurde aber zweimal freigesprochen, wie die spanische Zeitung „El Mundo“ am Donnerstag berichtete. In Schweden schrieb Yalcin weiterhin für die linke Zeitschrift „Odak Dergisi“ kritisch über sein Heimatland. Nach Informationen des Magazins nimmt das Ersuchen der türkischen Behörden, das vom April stammen soll, auch Bezug auf eine Anti-Terror-Razzia gegen „Odak“ im Jahr 2010.

          „Das ist ein Versuch Erdogans, seine Macht über die Grenzen seines Landes hinaus auszudehnen. Er will zeigen, dass er kritische Stimmen auch dort erreichen kann“, sagte der Vorsitzende der schwedischen Sektion der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ Jonathan Lundqvist. Er hält die Festnahme für einen „Missbrauch der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit“. Es sei beunruhigend, dass nun auch Journalisten im Exil verhaftet werden können, sagte Lundqvist. Schwedische Konsularbeamte konnten nach Angaben der Botschaft in Madrid mittlerweile Yalcin besuchen, der auch Kontakt zu einem Anwalt habe. Man versuche, mehr über die Hintergründe seiner Festnahme zu erfahren, hieß es weiter.

          Ist das in Deutschland möglich?

          Ein Richter des Nationalen Gerichtshofs in Madrid hatte am Ende der vergangenen Woche angeordnet, den Journalisten zu inhaftieren. Nun muss die türkische Regierung formell um seine Auslieferung bitten. Danach wird der Richter die Gründe prüfen. Seiner Entscheidung muss dann noch der spanische Ministerrat zustimmen. Um eine mögliche Flucht auszuschließen, könnte Yalcin maximal 40 Tage lang (bis zum 11. September) in Spanien festgehalten werden. Sollten die türkischen Behörden jedoch nicht innerhalb von 18 Tagen die nötigen Angaben vorlegen, müsste er freigelassen werden.

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          In Deutschland haben Fahndungsersuche von Interpol nicht automatisch eine Festnahme zur Folge. Zunächst prüft das Bundeskriminalamt, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Auslieferung und eine längere Inhaftierung in Deutschland gegeben sind. Sind die Fälle rechtlich und politisch heikel, wird das Bundesamt für Justiz hinzugezogen. Gegen eine Auslieferung kann sprechen, wenn in dem Land, aus dem das Ersuchen stammt, kein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, die Todesstrafe droht oder möglicherweise politische Gründe eine Rolle spielen. Daher kann es sein, dass ein über Interpol übermitteltes Ersuchen am Ende gar nicht an die Grenzpolizei weitergegeben wird.

          Neun weitere Journalisten festgenommen

          So forderte die Türkei zum Beispiel bisher vergeblich von Deutschland, alle Staatsbürger auszuliefern, die nach ihrer Ansicht in Verbindung zu der „Terrororganisation“ des islamischen Predigers Fethullah Gülen stehen, den Ankara für den gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 verantwortlich macht.

          In der Türkei nahm die Polizei am Donnerstag neun weitere Journalisten fest, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Unter ihnen sei auch Burak Ekici, der Herausgeber der Oppositionszeitung „Birgün“. Insgesamt wurden demnach 35 Haftbefehle gegen mutmaßliche Unterstützer Gülens ausgestellt. Ihnen wird vorgeworfen, den verschlüsselten Messenger-Dienst „ByLock“ genutzt zu haben. Mit dessen Hilfe sollen Anhänger Gülens den Putsch vorbereitet haben. Nach Angaben des türkischen Journalistenverbandes sind mittlerweile etwa 160 Pressevertreter im Gefängnis. Dazu gehören auch zwei Journalisten aus Deutschland, Deniz Yücel und Mesale Tolu.

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