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Erdogan begeistert Anhänger : Seelenmassage und Durchhalteparolen

  • -Aktualisiert am

Einmal holte Erdogan doch aus: Er verkündete den Boykott von elektronischen Geräten aus Amerika. Bild: AFP

Bei einem Auftritt in Ankara anlässlich des Jahrestages der AKP-Gründung provoziert Erdogan zwar weniger als sonst. Einen Plan zur Entschärfung der Krise präsentiert er aber nicht. Bejubelt wird er dennoch.

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          Tayyip Erdogan betritt den Saal und hebt die lässig die rechte Hand. Lauter Beifall brandet ihm entgegen, und von den Tribünen skandieren Sprechchöre: „Nicht beugen! Ankara ist mit dir!“, dann noch lauter: „Ankara ist mit dir, Reis!“ Einen „Reis“ nennen die Türken ihren Anführer. Als die AKP an diesem Tag vor 17 Jahren gegründet wurde, war Erdogan zunächst lediglich der Vorsitzende einer weiteren neuen Partei. Seit den Wahlen vom November 2002 stellt sie die Regierung, seit 2014 steht Erdogan als Staatspräsident an der Spitze der Republik Türkei.

          Am Jahrestag der Gründung der AKP feiert Seta, die größte Denkfabrik der Türkei, die 17 Jahre AKP mit einem Symposion. Erdogan spricht als Parteivorsitzender, am Rednerpult prangt das Wappen des türkischen Staatspräsidenten. Eine breite Phalanx von Fernsehkameras überträgt die Rede auf allen Kanälen direkt. Erdogan versteht es, mit wenigen Worten Stimmung zu erzeugen und die Menschen im Saal rasch für sich einzunehmen. Er weiß, wo er anzusetzen hat. Damit ist die Veranstaltung kein akademischer Kongress mehr, sondern eine Erdogan-Show, direkt und im ganzen Land zu sehen und zu hören.

          Erdogan hatte die AKP während der schwersten Krise der Türkei seit dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Eine beispiellose Talfahrt der Lira und ein massiver Vertrauensverlust der alten politischen Klasse hatten das Land damals an den Rand des Abgrunds geführt. Erdogan und die AKP führten es von dort wieder weg. Heute sieht sich die AKP aber der größten Krise seit ihrer Gründung gegenüber. Erdogan beschönigt nichts. Heute spricht er das Wort vom „Wirtschaftskrieg“, der gegen die Türkei geführt werde, nicht direkt aus. Er erinnert aber an die Schlacht von Canakkale im Jahr 1915, welche die Türkei gewonnen habe – und natürlich werde die Türkei auch diese Schlacht gewinnen.

          Mehr produzieren und mehr exportieren – wie ein Masterplan klingt das nicht

          Offenbar nimmt Erdogan Rücksicht auf die nervösen Märkte. Anders als sonst hat er ein vorbereitetes Manuskript, und er blickt in die Richtung des Teleprompters. Erdogan spricht weniger angriffslustig und provozierend als sonst. Alte Muster kehren aber wieder. Die Feinde der Türkei hätten am 15. Juli 2016 mit Waffen einen Putsch gegen ihn angezettelt, ruft er in den Saal. Da der gescheitert sei, versuchten sie nun, die Türkei mit Geld zu destabilisieren. Nicht nur die Türkei sei im Visier des amerikanischen Präsidenten, auch Russland, China und Iran, sogar Kanada und Europa. Daher sei es selbstverständlich, dass die Türkei jeden Tag in regem Kontakt mit ihren Freunden stehe.

          Neue Ideen und einen konkreten Plan, wie die Türkei die Krise überwinden könnte, präsentiert Erdogan nicht. Das Schatzamt arbeite Tag und Nacht, ruft er den Menschen zu. Man müsse mehr produzieren und mehr exportieren. Wie ein Masterplan klingt das nicht. Dann holt Erdogan doch einmal aus und kündigt einen Boykott elektronischer Produkte aus den Vereinigten Staaten an. Die Amerikaner hätten iPhones, auf die die Türken gerne verzichten könnten und sollten, ruft er unter Beifall aus. Schließlich könnten die Türken auf die koreanischen Geräte von Samsung zurückgreifen, und in der Türkei stelle Vestel ja auch Smartphones her. Eine Türkei ohne iPhones ist jedoch kaum vorstellbar. Auch nicht eine Erdogan-Rede, bei der er nicht ständig mit iPhones fotografiert würde.

          Die Leute sind jedoch begeistert von der Seelenmassage und den Durchhalteparolen. Schließlich hat sich die Lira an den Devisenmärkten wieder leicht erholt. Die einen sagen, die Stützungskäufe der Zentralbank hätten das bewirkt, die anderen führen die Erholung auf Gewinnmitnahmen von Anlegern zurück. Schließlich sei die Abwertung der Lira in den vergangenen Tagen ja auch nicht durch die harten wirtschaftlichen Fundamentaldaten zu erklären, sagt Cagatay Kilic, AKP-Abgeordneter aus Istanbul.

          Die Türkei und Russland arbeiten an einer Vertiefung ihrer Beziehung

          Zur Beruhigung hätten auch die Äußerungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier beigetragen, sagt Kilic. Gut angekommen in der Türkei ist Merkels Äußerung, dass sich Deutschland eine prosperierende Türkei wünsche. Und an die Adresse des Westens sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, die Achse der Türkei sei die Nato.

          Das dürfte dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, dem Ehrengast bei der türkischen Botschafterkonferenz, die Cavusoglu am Montag und Dienstag in Ankara ausgerichtet hat, zwar nicht gefallen haben. Dennoch arbeiten die Türkei und Russland an einer Vertiefung ihrer Beziehungen. So seien sich die beiden Länder einig, ihren Handel nicht mehr in Dollar abzuwickeln, sondern in Rubel und Türkischer Lira, sagt Kilic, der den Vorsitz der türkisch-deutschen Parlamentariergruppe übernehmen wird. Weitere Themen der Gespräche Lawrows in Ankara sind Syrien und die amerikanischen Sanktionen gegen Iran – vor allem aber die Zusammenarbeit bei Energieprojekten, etwa der Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks in Mersin, und eine Rüstungskooperation, die erforderlich werde, weil Washington Rüstungslieferungen an die Türkei schon länger blockiere.

          Eine Ende der Krise zwischen Washington und der Türkei ist jedoch nicht in Sicht. Einigkeit herrscht unter ausländischen Beobachtern, dass lediglich eine Freilassung des amerikanischen Pastors Andrew Brunson rasch zu einer politischen Entspannung beitragen könne. Offenbar ist Washington über die Türkei auch verstimmt, weil diese sich nicht an eine Abmachung mit der amerikanischen Regierung gehalten habe. So hatte Washington vor einem Monat dafür gesorgt, dass Israel eine türkische Hamas-Aktivistin, Ebru Özkan, auf freien Fuß setzte, und erwartete im Gegenzug, dass Brunson freigelassen werde. Der sitzt zwar nicht mehr im Gefängnis, steht aber unter Hausarrest. Brunson und Özkan hätten nicht dieselbe Bedeutung, heißt es dazu nur in der Türkei.

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