Ende eines Wohlfahrtsstaats : Wenn Saudis arbeiten müssen
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Junge Männer bei der Ausbildung zum Luftfahrttechniker in Saudi-Arabien. Bild: Rainer Hermann
Mit dem Wohlfahrtsstaat ist es vorbei: In Saudi-Arabien stehen Bildungssystem und Arbeitsmarkt vor einer riesigen Aufgabe. Die Bürger des Landes sollen die Aufgaben übernehmen, die bislang Ausländer machen. Geht das?
Saudi-Arabien steht vor der größten Transformation seiner Geschichte. Vorbei sind die fetten Jahre, in denen sich das Königreich einen üppig ausgestatteten Wohlfahrtsstaat leisten konnte. Heute diktiert der saudischen Führung nicht nur der niedrige Ölpreis den Auftrag, vom Erdöl unabhängig zu werden und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. Noch größer ist der demographische Druck der schnell wachsenden Bevölkerung: Jedes Jahr kommen, so das saudische Arbeitsministerium, 350 000 junge Saudis auf den Arbeitsmarkt. Der öffentliche Dienst, mit 3,3 Millionen beschäftigten Saudis schon lange überbesetzt, kann sie nicht weiter aufnehmen. Daher bleiben zwei Optionen: Entweder sie finden Arbeit in der Privatwirtschaft, die schlechter zahlt und eine höhere Wochenarbeitszeit hat, oder sie werden selbständig.
Die Herausforderung, Arbeit für junge Saudis zu schaffen, steht im Mittelpunkt der „Vision 2030“, die mit dem Namen des stellvertretenden Kronprinzen Muhammad Bin Salman Al Saud verbunden ist. Gelingt sie, steht Saudi-Arabien auf sehr stabilen Beinen; scheitert sie, ist die Stabilität des Königreichs gefährdet. Dann stiege die Arbeitslosigkeit, die bei neun Prozent liegt, stetig.
Noch vor wenigen Jahren hatten erst 750 000 Saudis in privaten Unternehmen gearbeitet. „Heute sind es bereits 1,8 Millionen, und 2020 sollen es drei Millionen sein“, sagt Arbeitsminister Ali Nasser al Ghafis. Frauen stellen schon ein Drittel der 1,8 Millionen. Danach soll bis zum Jahr 2030 ein noch größerer Sprung kommen. Denn die „Vision 2030“, die vor einem Jahr vorgestellt worden war, formuliert als Ziel, vier Millionen neue Arbeitsplätze für saudische Bürger in der Privatwirtschaft zu schaffen. Damit würden in privaten Unternehmen fast doppelt so viele Saudis wie im Staatsdienst arbeiten. Was vor noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre.
„In zehn Jahren werden sie nach und nach die Expats ersetzen“
Um das zu erreichen, fährt die saudische Regierung zweigleisig. So sollen Saudis nach und nach die neun Millionen Expats ersetzen, also die ausländischen Arbeitnehmer, die vor allem aus Indien und Pakistan kommen. Wie sie sollen dann auch Saudis manuelle Arbeiten verrichten. Das Land will zudem in wachsende Branchen investieren, in denen neue Arbeitsplätze entstehen.
Wie das funktionieren soll, zeigt das College für Luftfahrttechnik in Riad, wo 1700 männliche Saudis zu Luftfahrttechnikern ausgebildet werden. Im ersten Jahr lernen sie nur Englisch; in den zwei Jahren danach werden sie in einem Umfeld, das ihren künftigen Arbeitsbedingungen entspricht, zu Technikern für die zivile Luftfahrt oder aber für die saudische Luftwaffe ausgebildet. Die ersten Abschlüsse wird es im März 2018 geben.
„In zehn Jahren werden sie nach und nach die Expats ersetzen“, sagt Colin Jameson, der australische Direktor des College. Heute warten und reparieren noch meist Ausländer die Flugzeuge. Jameson sieht auch große Chancen, dass Saudi-Arabien vom Wachstum der Luftfahrt profitiert und sein College so die Zahl der Absolventen steigern muss, was auch dem College Chancen eröffnet. „Denn wir wollen in der Golfregion das führende Ausbildungszentrum für die zivile Luftfahrt und die Luftwaffe werden“, sagt Jameson, der aus dem australischen Queensland stammt, wo er vor vielen Jahren begonnen hatte, für Saudi-Arabien Luftfahrttechniker auszubilden.