Neue Vorsitzende Elly Schlein : Melonis neue Gegenspielerin
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Die erste Frau an der Parteispitze: Elly Schlein, die neue Vorsitzende der italienischen Sozialdemokraten Bild: EPA
Italiens Sozialdemokraten waren zuletzt auf einem Kurs der Mitte. Damit konnten sie den Erfolg des Rechtsbündnisses unter Giorgia Meloni nicht verhindern. Die neue Vorsitzende Elly Schlein will Meloni nun die Stirn bieten.
Ist das der Aufbruch zu neuer Stärke und künftigen Wahlsiegen für Italiens Sozialdemokraten? Oder ist es der Gang in den linken Schmollwinkel, wo die Macht in Rom für viele Jahre unerreichbar sein wird? Jedenfalls will Elly Schlein, die am Sonntag bei einer Art Urwahl überraschend zur neuen Chefin des Partito Democratico (PD) gekürt wurde, ihre Partei entschlossen nach links führen. „Denn in der Mitte gewinnen wir nicht“, so ihre Überzeugung. Dort, in der Mitte, ist dagegen die politische Heimat ihres mit 53,8 zu 46,2 Prozent geschlagenen Herausforderers Stefano Bonaccini, seit 2014 Präsident der wirtschaftsstarken Region Emilia-Romagna im Norden Italiens.
Seit rund fünf Monaten waren die italienischen Sozialdemokraten faktisch führungslos. Kurz nach der Niederlage gegen das Mitte-rechts-Bündnis unter Führung Giorgia Melonis bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 25. September hatte Parteichef Enrico Letta seinen Rücktritt angekündigt. Seither führte er die Partei kommissarisch. Schon bald schälte sich der 57 Jahre Bonaccini als Favorit für die Nachfolge Lettas als PD-Chef heraus.
Der Berufspolitiker Bonaccini begann seine Laufbahn bei den italienischen Kommunisten und durchlief hernach alle politischen Häutungen hin zu einem zentristischen Reformer. Er hatte Erfolg bei Wahlen und war als pragmatischer Präsident seiner Heimatregion so hoch geachtet, dass er bei den Regionalwahlen Anfang 2020 den Ansturm der rechtsnationalen Lega von Matteo Salvini abwehrte und die „rote“ Emilia-Romagna für das Mitte-links-Lager verteidigte.
Siegerin der parteiinternen Vorwahl
Bei den parteiinternen Vorwahlen unter PD-Mitgliedern setzte sich Bonaccini erwartungsgemäß gegen drei Konkurrenten klar durch. Er erhielt 52,9 Prozent der Stimmen, auf Schlein entfielen 34,9 Prozent; zwei weitere Kandidaten landeten mit 8 beziehungsweise 4,3 Prozent abgeschlagen auf den Plätzen dahinter. Seine Wahl zum Parteichef galt als ausgemachte Sache. Bei repräsentativen Umfragen sprachen sich klare Mehrheiten von PD-Wählern für Bonaccini aus.
Doch es kam anders. Seit 2007 bestimmen die italienischen Sozialdemokraten ihre Parteiführer nicht nur durch eine Urwahl der Parteimitglieder. In einem zweiten basisdemokratischen Schritt werden auch alle wahlberechtigten Bürger des Landes aufgerufen, sofern sie sich in einem formlosen Akt mit den Werten der Partei identifizieren, an der Stichwahl zum Parteichef der Sozialdemokraten teilzunehmen. Zur Stimmabgabe in provisorischen Pavillons auf den Marktplätzen in allen Städten des Landes sind nicht nur Italiener berechtigt, sondern auch Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung. Das Mindestwahlalter liegt bei dieser Parteiwahl bei 16 Jahren, nicht bei 18 Jahren wie bei den regulären Wahlen. An der Abstimmung am Sonntag in rund 5500 Pavillons nahmen rund eine Million Wähler teil.
„Wir werden ein Problem für die Meloni-Regierung sein“
Und bei diesem zweiten Akt gelang es Elly Schlein, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu wenden. Freilich ist die Beteiligung an den PD-Parteiwahlen seit 2007 stetig zurückgegangen. Bei der Wahl Walter Veltronis zum Parteichef nahmen 2007 noch 3,5 Millionen Wähler teil, bei Pier Luigi Bersani 2009 waren es immerhin noch 3,1 Millionen. Bei Matteo Renzi waren es 2013 und 2017 noch 2,8 beziehungsweise 1,8 Millionen und bei Nicola Zingaretti 2019 nur 1,5 Millionen. Beim Stichwahlsieg Schleins über Bonaccini gaben vor allem junge und weibliche Wähler den Ausschlag.
Nach ihrem Wahlsieg sagte Schlein: „Jetzt ist die Partei wieder vereint, um zu gewinnen. Ich werde die Parteichefin für alle sein.“ An die seit Oktober 2022 amtierende Mitte-rechts-Koalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni richtete sie aus: „Wir werden ein Problem für die Meloni-Regierung sein.“ Schließlich nahm sie auf die Flüchtlingstragödie an der Küste Kalabriens mit mindestens 59 Toten vom Sonntag Bezug: „Der Tod der Migrantinnen und Migranten lastet auf dem Gewissen der Exekutive.“
Ob mit der Wahl Schleins zur Vorsitzenden die langanhaltende Krise der Partei überwunden werden kann, steht dahin. Schlein ist Parteichef Nummer zehn seit Einführung der Urwahl des PD-Vorsitzenden 2007, provisorisch und kommissarisch eingesetzte Chefs eingeschlossen. Die größten Erfolge erzielte die Partei unter Ministerpräsidenten Matteo Renzi, einem pragmatischen Reformer der politischen Mitte.
Bruch mit der politischen Mitte
Und genau mit dieser Linie will Schlein vollends brechen. Es ist kein Geheimnis, dass Schlein die Wunschkandidatin der rechten Parteien war: Sie hegen die Hoffnung, die italienischen Sozialdemokraten werden sich mit Schlein – wie einst die britische Labour Party unter Jeremy Corbin – als ernstzunehmende Konkurrentin um die Macht verabschieden.
In jüngsten Umfragen liegt der PD mit 15,8 Prozent nur noch auf dem dritten Rang. Führende Oppositionskraft ist die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung unter dem früheren Ministerpräsidenten Giuseppe Conte mit 17 Prozent Zustimmung. Melonis rechtskonservative Brüder Italiens liegen mit 31 Prozent mit großem Abstand an der Spitze.
Schlein setzt darauf, dass ein explizit linksökologisches Wahlbündnis aus Sozialdemokraten und Fünf-Sterne-Bewegung wieder Wahlen gewinnen kann.
Elena Ethel „Elly“ Schlein wurde am 4. Mai 1985 in Lugano im Schweizer Kanton Tessin geboren. Die Mutter ist Italienerin, der Vater Amerikaner jüdischer Abstammung, beide sind Universitätsprofessoren für Jura beziehungsweise Politologie. Nach dem Schulabschluss in Lugano studierte Elly Schlein in Bologna Jura, ihre Abschlussarbeit verfasste sie 2011 über das italienische Verfassungsrecht.
Während des Studiums hatte sie sich im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf von 2008 als Kampagnenhelferin für den späteren Präsidenten Barack Obama engagiert. 2012 ging sie wieder zur Wahlkampagne für die Wiederwahl Obamas nach Amerika. Schlein hat neben der italienischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und die der Schweiz dazu. Italienisch und Englisch spricht und schreibt sie auf Muttersprachenniveau.
Von 2013 an war sie Mitglied des PD und setzte sich schon seinerzeit mit der Kampagne „#OccupyPD“ dafür ein, der Partei ein betont linkes Profil zu geben. 2014 wurde Schlein als Kandidatin des PD ins Europaparlament gewählt. Sie verließ die Partei im Juli 2015 aber aus Protest gegen den vom damaligen Partei- und Regierungschef Matteo Renzi verordneten Schwenk der Partei zur politischen Mitte und schloss sich einer linksökologischen Kleinpartei an. Bei den Europawahlen 2019 trat Schlein nicht mehr an. Stattdessen wandte sie sich der Lokal- und Regionalpolitik in Bologna zu. In der Hauptstadt der Emilia-Romagna lebt sie seit gut anderthalb Jahrzehnten.
Einen kleinen Beitrag zur Wiederwahl des Mitte-links-Kandidaten Bonaccini bei den Regionalwahlen Anfang 2020 leistete Schlein mit der von ihr geführten Liste „Emilia-Romagna Coraggiosa“ (Mutige Emilia-Romagna). Das „ökologisch-progressive“ Bündnis vier kleiner Linksparteien trug 3,8 Prozent zu den insgesamt 51,4 Prozent der Stimmen bei, die Bonaccini den Sieg sicherten. Schlein selbst überflügelte mit gut 22.000 Vorzugsstimmen – davon allein knapp 16.000 aus Bologna – alle anderen Kandidaten, was ihr im neuen Kabinett Bonaccini den Posten einer Stellvertreterin des Regionalpräsidenten mit Zuständigkeit für Sozial- und Umweltpolitik einbrachte.
Das Regierungsamt in Bologna gab Schlein auf, um sich bei den Parlamentswahlen vom September 2022 um einen Sitz zu bewerben. Sie gewann bei der Wahl einen Sitz im Abgeordnetenhaus. Erst kurz zuvor war sie wieder in den PD eingetreten.
Für ihr Coming-out als Bisexuelle wählte Schlein vor einiger Zeit eine Talkshow im Fernsehen. Auf die Frage nach ihrem „Beziehungsstatus“ antwortete sie: „Derzeit bin ich liiert. Ich hatte in der Vergangenheit mehrere Beziehungen: Ich habe viele Männer geliebt, und ich habe viele Frauen geliebt. Im Moment bin ich mit einer Frau zusammen. Und ich bin glücklich, solange sie es mit mir aushält.“