Angriff in Argentinien : Vierzehn Kugeln und eine Drohung gegen Messis Familie
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Polizist vor einem Supermarkt in Rosario in Argentinien Bild: dpa
Unbekannte haben in Argentinien den Supermarkt von Lionel Messis Schwiegervater beschossen. Jetzt steht die Regierung in der Kritik. Sie gehe nicht entschieden genug gegen Drogenkriminalität vor.
„Messi, wir warten auf dich. Javkin ist ein Narco, er wird dich nicht beschützen.“ Das ist die handgeschriebene Botschaft, die am frühen Donnerstagmorgen auf einem Zettel vor einem Supermarkt in der argentinischen Stadt Rosario in der Provinz Santa Fe gefunden wurde. Die Scheibe des Geschäftes, das der Familie von Lionel Messis Ehefrau Antonela Roccuzzo gehört, war von vierzehn Kugeln aus einer Pistole durchlöchert. Bei Pablo Javkin handelt es sich um den Bürgermeister der Stadt, aus der auch der argentinische Fußballstar stammt.
Die Ermittler tappen im Dunkeln. Bekannt ist bisher lediglich, dass die Schüsse aus der Waffe eines unbekannten und vermummten Mannes stammen, der zusammen mit einem Komplizen auf einem Motorrad am Tatort war, wie Videoaufnahmen zeigen. Das Motiv der Täter ist unklar. Die Untersuchungsbehörden vermuten, dass mit der Tat und der Drohung gegen den Fußballstar ein möglichst großes Aufsehen erregt werden sollte.
Das ist gelungen. Die Meldung verbreitete sich in Windeseile auf der ganzen Welt. Und in Argentinien selbst hat sie eine kleine Staatskrise ausgelöst. Bürgermeister Javkin wirft der Regierung der Provinz und jener in Buenos Aires vor, nicht wirksam gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen, das sich in den vergangenen Jahren massiv ausgebreitet hat in Rosario.
Höchster Kokain-Konsum pro Kopf in Lateinamerika
Die wichtige Hafenstadt am Río Paraná mit gut 1,3 Millionen Einwohnern ist heute nicht nur einer der wichtigsten Umschlagplätze für Soja aus dem Landesinneren, der dort täglich auf Dutzende Schiffe verladen wird. In den letzten zehn Jahren hat sich die Stadt auch zu einer Drehscheibe des Drogenhandels entwickelt, der die Gewalt antreibt. Rivalisierende Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft. Die Mordrate in Rosario zählt zu den höchsten in Argentinien. Im vergangenen Jahr wurden 288 Morde registriert. In diesem Jahr sind es bereits mehr als 50, die jüngsten drei in der Nacht auf Samstag.
Argentinien ist in den letzten zehn Jahren zu einem lukrativen Absatzmarkt für Kokain und dessen billige Nebenprodukte geworden. Nirgends in Lateinamerika ist der Pro-Kopf-Konsum höher als in Argentinien, wobei die Provinz Santa Fe die interne Statistik anführt. Daneben ist das Land aber auch zu einem zunehmend wichtigen Transitland für den Schmuggel von Rauschgift ins Ausland geworden.
Nach Kolumbien und Brasilien ist Argentinien heute wichtigstes Exportland von Kokain. Rosario nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Die Stadt liegt an der Fernstraße 34, die aus dem Norden von Bolivien bis nach Buenos Aires führt. Sie dient als Route für den Transport von Kokain und Kokapaste, die vorwiegend aus Bolivien stammen. Die Fernstraße hat deswegen den vielsagenden Beinamen „Weiße Route“ erhalten.
In Argentinien gibt es aber nicht nur eine gute Kundschaft für das Rauschgift.
Der Erfolg als Transitland für Kokain hat Argentinien auch seiner löchrigen Grenze zu verdanken, dem guten Zugang zu Chemikalien sowie dem Umstand, dass sich Geld hier leicht waschen lässt. Rosario ist auch dafür gut geeignet. Im Norden der Stadt ist in den vergangenen Jahren ein modernes Luxusviertel entstanden. Viele der Wohnungen stehen leer und wechseln ständig die Besitzer.
Lokalen Journalisten zufolge gibt es in der Stadt etliche Unternehmen, deren Hauptzweck darin besteht, Geld aus dem Rauschgifthandel zu waschen. Auch Indizien für die Bestechlichkeit der Behörden, der Sicherheitskräfte und gar der Justiz gibt es zuhauf. In den vergangenen Jahren wurden etliche Beamte und Polizisten angeklagt, die mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten sollen. Auch Hinweise über die Präsenz von kolumbianischen und mexikanischen Kartellen in Argentinien haben sich gehäuft. Papst Franziskus sprach angesichts der Entwicklung vor einigen Jahren von einer „Mexikanisierung“ Argentiniens.
Das Thema wird in Argentinien seit Jahren unter den Teppich gekehrt. Die jüngsten Vorfälle dürften das ändern. Immerhin handelt es sich bei den Opfern um keinen Geringeren als den argentinischen Nationalhelden Lionel Messi und dessen Familie. Noch etwas anderes kommt hinzu: In Argentinien wird in diesem Jahr gewählt. Die Linksregierung von Präsident Alberto Fernández befindet sich in großen Schwierigkeiten, da es ihr nicht gelingt, das Land aus der tiefen wirtschaftlichen Krise zu führen. Auch die Sicherheit in Rosario zählt zu den Aufgaben der Regierung in Buenos Aires und der Regionalregierung der Provinz Santa Fe, die ebenfalls von den Peronisten regiert wird.
Bürgermeister Javkin gehört indes dem konservativen Oppositionsbündnis an. Seine Kritik an der mangelnden Sicherheit richtet sich direkt gegen die Regierung. Eine klare Kampfansage kam auch vom früheren Präsidenten Mauricio Macri. Der Vorfall sei eine weitere Warnung an die Nationalregierung und die Regierung von Santa Fe, dass man nicht mit Rauschgifthändlern koexistieren könne, schrieb Macri auf Twitter. „Wir müssen entschieden dagegen ankämpfen. Ende des Jahres wird sich das ändern.“
Die Regierung bemüht sich indes, eine Reaktion zu zeigen. Am Freitag wurden die Zellen mehrerer inhaftierter Anführer des organisierten Verbrechens durchsucht. Er wird vermutet, dass sie mithilfe von korrupten Beamten aus dem Gefängnis die Aktionen ihrer Banden planen. Am Samstag wurden mehrere Polizisten in Rosario verhaftet. Die Häuser früherer Polizeichefs wurden durchsucht. Die Justiz spricht von Hinweisen von struktureller Korruption.
Zuvor hatte Präsident Fernández angemerkt, dass eines der Sicherheitsprobleme von Rosario bei der Polizei liege, und von einem „sehr ernsten Problem“ gesprochen, gegen das „etwas mehr“ getan werden müsse. Für Empörung, selbst aus den eigenen Reihen, sorgte indes eine Aussage von Sicherheitsminister Aníbal Fernández, der am Donnerstag gesagt hatte, die „Narcos“ hätten gewonnen.