Treffen der EU-Außenminister : Zu früh für Sanktionen
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Schwierige Debatte: Maas und Asselborn am Montag beim Außenministertreffen in Brüssel Bild: Getty
Die EU-Außenminister sind uneins über Russland. Berlin und Paris wollen im Fall Nawalnyj nichts überstürzen. Einig ist man sich bei der Türkei – die Annäherung soll nicht durch Sanktionen gestört werden.
Muss die Europäische Union weitere Sanktionen gegen Russland verhängen, weil Alexej Nawalnyj in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis sitzt? Das war das wichtigste und auch kontroverseste Thema, als sich die EU-Außenminister am Montag trafen – persönlich in Brüssel. Schon bei den kurzen Stellungnahmen vor der Sitzung wurde deutlich, wie weit die Staaten auseinanderliegen. „Wir müssen und wir werden über die Annahme neuer Sanktionen reden“, kündigte der rumänische Außenminister Bogdan Aurescu an. Dagegen sagte Jean Asselborn aus Luxemburg: „Wir werden heute und morgen über Kooperation mit Russland reden anstatt über Sanktionen.“
Mehrere Staaten sprachen sich vor der Sitzung für Sanktionen aus, nachdem sich vorige Woche schon das Europäische Parlament fast einhellig dafür starkgemacht hatte. „Wir alle in der EU müssen zielbewusst restriktive Maßnahmen gegen russische Vertreter verhängen, die für Festnahmen verantwortlich sind“, hieß es in einer kurzen Stellungnahme der drei baltischen Außenminister. Sie hatten das Thema vorige Woche auf die Tagesordnung gesetzt. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte am Sonntag, weitere Sanktionen seien angesichts des Umgangs mit Nawalnyj und der russischen Invasion auf der Krim „absolut gerechtfertigt“. Es gebe kein anderes friedliches Werkzeug, um einen Staat unter Druck zu setzen, der sich nicht an internationales Recht halte.
„Unverzügliche Freilassung“
Als die Außenminister in Brüssel eintrafen, standen sie unter dem Eindruck der Massendemonstrationen in Russland am Samstag und der mehr als 3500 Festnahmen dort. „Auch nach der russischen Verfassung hat in Russland jeder das Recht, seine Meinung zu äußern und zu demonstrieren. Das muss auch möglich sein, rechtsstaatliche Prinzipien müssen auch dort gelten“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas. Deshalb erwarte man, dass diejenigen, die friedlich demonstriert haben, „auch unverzüglich wieder freigelassen werden“. Das Wort Sanktionen nahm Maas allerdings nicht in den Mund.
Vielmehr traten Deutschland, Frankreich und weitere Staaten in der Sitzung kräftig auf die Bremse. Es gebe keine Notwendigkeit, jetzt schnell zu handeln, erläuterten Diplomaten. Man stehe nicht unter Zeitdruck. Erst mal müsse man abwarten, wie sich die Lage in Russland entwickele. Es scheint noch Hoffnung zu geben, dass der Kreml dem Druck der Straße nachgibt und den Oppositionspolitiker freilässt. Mehrere Staaten sind außerdem skeptisch, ob dies wirklich ein Fall ist, um erstmals die neue EU-Sanktionsregelung gegen Menschenrechtsverstöße anzuwenden.
Zwar deckt sie „willkürliche Festnahmen“ ab, und darum handelt es sich nach Auffassung der EU-Staaten in diesem Fall. Maas spricht ausdrücklich nicht von einer „Verhaftung“. Doch wird darauf hingewiesen, dass Nawalnyj nach seiner Rückkehr zunächst nur zu dreißig Tagen Arrest verurteilt worden sei, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Erst Anfang Februar soll in einem neuen Prozess darüber verhandelt werden, ob der Politiker nun doch eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren antreten muss, die 2014 zur Bewährung ausgesetzt worden war.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte nach der Sitzung, dass kein Staat konkrete Vorschläge für neue Konto- und Reisesperren gegen russische Vertreter vorgelegt habe. Das wäre allerdings auch unüblich, zuerst müssen die Außenminister politisches Einvernehmen darüber erzielen. Das war eindeutig nicht der Fall. Borrell verwies seinerseits darauf, dass der Europäische Rat im März eine strategische Debatte über das Verhältnis zu Russland führen werde. Um diese Diskussion vorzubereiten, wolle er selbst Anfang Februar nach Moskau reisen und einer Einladung von Außenminister Sergej Lawrow nachkommen. Das sei dann auch die Gelegenheit, um alle schwierigen Themen zu besprechen. Der Frage, ob er verlangen werde, auch Nawalnyj zu treffen, wich Borrell aus. „Ich würde mich natürlich freuen, ihn zu sehen“, sagte er, aber diese Reise diene vor allem Gesprächen mit der russischen Regierung.
EU-Ratspräsident Charles Michel hatte am Freitag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und seine „schwere Besorgnis“ im Fall Nawalnyj zum Ausdruck gebracht. Michel forderte nicht nur dessen rasche Freilassung, sondern mahnte abermals, dass Russland den Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im vorigen August aufkläre. Hier hatten die EU-Staaten schon Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen das Verbot chemischer Waffen verhängt, darunter auch gegen den Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB.
Annäherung mit der Türkei
Auch das Verhältnis zur Türkei wird im März wieder auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs stehen. Borrell berichtete den Außenministern von seinem jüngsten Gespräch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu, der in Brüssel auch Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen getroffen hatte. Die Türkei habe „Irritationen“, die im vorigen Jahr die Beziehungen „vergiftet“ hätten, eingestellt, sagte Borrell nach der Sitzung. Für ihn komme es nun entscheidend darauf an, die „positive Dynamik aufrechtzuerhalten“.
Da stehen allerdings noch Sanktionen im Weg. Anfang Dezember hatte sich der Europäische Rat für weitere Reise- und Vermögenssperren wegen der türkischen Gasbohrungen vor Zypern ausgesprochen. Die zyprische Regierung hatte schon im Sommer fünf Mitarbeiter und drei Tochterfirmen des staatlichen türkischen Energiekonzerns TPAO dafür vorgeschlagen. Diese Sanktionen hätten schnell verhängt werden können, sind aber immer noch nicht in Kraft getreten. Nikosia hatte Anfang Januar weitere Vorschläge vorgelegt, über die einmal beraten wurde. Es seien weitere „technische Gespräche“ nötig, sagte Borrell.
Tatsächlich scheint das vor allem ein Manöver zu sein, um Zeit zu gewinnen. Maas sprach nach der Sitzung ganz offen darüber. Es gebe eben „positive Signale“ aus Ankara, „auf die wir lang gewartet haben und die jetzt nicht durch Sanktionsentscheidungen belastet werden sollen“, sagte er. Zypern, Frankreich und Österreich, die bisher für einen harten Kurs eintraten, tragen das einstweilen mit. Sanktionen seien kein Selbstzweck, heißt es auch von dieser Seite, und der Beschluss von Dezember zeige doch schon Wirkung.