Polizisten nehmen am 27. November in Schanghai etliche Demonstranten fest. Bild: via REUTERS
Auch am Sonntag haben sich in Schanghai und anderen chinesischen Städten Tausende versammelt, um gegen die Corona-Politik, die Kommunistische Partei und Xi persönlich zu demonstrieren. Das Regime reagiert mit Härte und Zugeständnissen.
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In verschiedenen Teilen Chinas ist es am Wochenende zu Demonstrationen gegen die harsche Null-Covid-Politik von Staats- und Parteichef Xi Jinping gekommen. Es ist die wohl größte und breiteste Protestwelle in dem Land seit der Demokratiebewegung von 1989. In Schanghai versammelten sich am Sonntag am zweiten Abend in Folge Tausende Demonstranten und skandierten Parolen gegen die Corona-Politik, die Kommunistische Partei und gegen Xi Jinping persönlich, was in China selten auf offener Straße vorkommt. An etlichen Universitäten kam es am Sonntag ebenfalls zu Protesten. An der Tsinghua-Universität in Peking forderten Studenten Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit.
Auslöser des Unmuts war ein Hochhausbrand in Urumtschi, der Hauptstadt der Region Xinjiang. Dabei waren am Donnerstag mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. Sofort kam der Verdacht auf, dass die rigiden Corona-Maßnahmen die Rettungsarbeiten der Feuerwehr verzögert oder die Brandopfer in dem Hochhaus daran gehindert haben könnten, sich ins Freie zu retten. Die lokalen Behörden bestreiten das.
Demonstranten fordern „Freiheit für Xinjiang“
In Schanghai versammelten sich die zumeist jungen Demonstranten in der Wulumuqi-Straße. Wulumuqi ist der chinesische Name für Urumtschi. Mit Kerzen, Blumen und selbstgemalten Schildern gedachte die Menge der Toten, forderte in Sprechchören „Freiheit für Xinjiang“ und verlangte ein Ende der Null-Covid-Politik. Die Protestierenden sangen die chinesische Nationalhymne und riefen „Wir sind alle Chinesen“. Später forderten sie „Demokratie statt Diktatur“ sowie „Pressefreiheit“. Zeitweise griffen die Schanghaier Demonstranten in für China ausgesprochen ungewöhnlicher Art und Weise auch die politische Führung in Peking frontal an und riefen „Nieder mit der Partei“ und „Nieder mit Xi Jinping“. Am Samstag wurde die Menge von einer Hundertschaft von Polizisten umzingelt, die aber zunächst kaum eingriffen. Zu vorgerückter Stunde wurden am Samstag vereinzelt Demonstranten festgenommen. Am Sonntag gab es zahlreiche weitere Festnahmen.
Einzelne Demonstranten hielten weiße Blätter in die Höhe, was offensichtlich eine Anspielung auf die Demokratiebewegung in Hongkong sein sollte. Dort hatten junge Menschen und Abgeordnete 2020 mit unbeschriebenen weißen Blättern gegen die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes protestiert, das jede Kritik an der Führung unter Strafe stellt. Inzwischen sind die leeren Zettel zum Erkennungszeichen der neuen Bewegung geworden.
Auch an der Pekinger Tsinghua-Universität hielten die Demonstranten weiße Zettel in die Höhe. In Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, hefteten Studenten weißes Papier an Bäume. An der Universität von Hongkong stellten sich Studenten wortlos mit weißen Zetteln auf den Campus. An der Universität für Kommunikation in Nanjing hielt ein Student aus Xinjiang am Samstagabend eine Rede. „Ich spreche für meine Heimatstadt, für die Menschen, die bei dem Brand Angehörige verloren haben, und für all jene Landsleute, die überall im Land gestorben sind.“ Damit bezog er sich auf zahlreiche Todesfälle, die mit der harschen Null-Covid-Politik in Verbindung gebracht werden.
Sie sind ein Grund dafür, dass die Wut in den vergangenen Monaten immer weiter zugenommen hat. Da ist etwa die Frau in Xi’an, die ihr Kind verlor, nachdem das Krankenhaus ihr wegen eines fehlenden PCR-Tests eine Behandlung versagt hatte. Oder die 27 Opfer eines Busunfalls in Guizhou. Sie sollten mitten in der Nacht in ein Quarantänezentrum in einer anderen Stadt gebracht werden, obwohl in der bergigen Region ein Nachtfahrverbot für Busse gilt.
Aus weiteren Städten wurden Straßenproteste gemeldet, unter anderem aus Wuhan. Auch im Internet richteten sich die Proteste ungewöhnlich direkt gegen Xi Jinping. So wurde ein bekannter Artikel verbreitet, den Xis Vater vor vierzig Jahren als Parteichef der Provinz Guangdong geschrieben hatte. Darin steht der Satz „Angst vor Demokratie ist ein Symptom für eine Neurose“. Der Titel des Textes lautet „Lasst die Leute sprechen“.