Lech Walesa : „Bolek“ und das rote Spinnennetz
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Friedensnobelpreisträger Lech Walesa im November 2016 Bild: dpa
Einst führte er Polens Demokratiebewegung – nun scheint Lech Walesas Rolle als Spitzel für die Staatssicherheit belegt. Die Auseinandersetzung reicht bis in die Gegenwart.
Dass es in der Biographie Lech Walesas Anfang der siebziger Jahre dunkle Flecken gibt, ist seit langem bekannt. Die Information, er sei damals unter dem Decknamen „Bolek“ ein Agent der kommunistischen Staatssicherheit in Polen gewesen, wurde von dieser Anfang der achtziger Jahre selbst gestreut, um den Führer der Gewerkschaft und Demokratiebewegung „Solidarność“ und Friedensnobelpreisträger in den Augen der polnischen Bevölkerung und der Welt zu diskreditieren.

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Walesa selbst hat nie bestritten, dass er eine Loyalitätserklärung unterschrieben hat, als er im Dezember 1970 als einer der Anführer der Streiks in Danzig in Haft saß, bei deren Niederschlagung durch die Sicherheitskräfte Dutzende Arbeiter getötet wurden. In seiner in den achtziger Jahren erschienen Autobiographie schrieb Walesa, er sei damals „nicht ganz sauber“ aus den Verhören der Staatssicherheit herausgekommen.
Laut einem am Dienstag vorgestellten Schriftgutachten soll nun eindeutig klar sein, dass Walesa Anfang der siebziger Jahre eigenhändig Berichte für die Staatssicherheit verfasst und dafür Geld erhalten hat. In Auftrag gegeben worden war das Gutachten vom Institut für Nationales Gedenken (IPN), das in Polen sowohl für die wissenschaftliche als auch für die strafrechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit zuständig ist.
Durch Vergleiche mit Schriftstücken, die eindeutig von Walesa stammen, sind Sachverständige zu dem Schluss gekommen, dass eine Verpflichtungserklärung, Unterschriften auf Quittungen und handschriftlich verfasste Berichte über die Stimmung unter den Arbeitern der Danziger Lenin-Werft eindeutig belegen, dass der spätere Solidarność-Führer von 1971 bis 1976 für die politische Polizei gearbeitet hat. Die Dokumente waren Anfang des vergangenen Jahres im Nachlass des einstigen kommunistischen Innenministers Czeslaw Kiszczak gefunden worden, der Anfang der achtziger Jahre die Bekämpfung der polnischen Opposition geleitet hat.
Er sei „rein wie eine Träne“, behauptet Walesa
Walesa bestreitet die Echtheit der Dokumente. Nie habe er auf der falschen Seite gestanden, er sei „rein wie eine Träne“, hat er vergangenes Jahr nach der Entdeckung der Dokumente behauptet. Auch in Befragungen durch die Staatsanwälte des IPN beharrte er darauf, dass die Schrift auf den Dokumenten nicht seine sei. Sein Anwalt äußerte am Dienstag Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Gutachtens; dass das IPN dem Hauptbetroffenen das Gutachten bisher nicht zugänglich machen wolle, zeige, „wie das IPN den Fall behandelt“, sagte er der „Gazeta Wyborcza“: „Der Fall ist noch nicht geschlossen.“
Die meisten Historiker, die sich mit dem Fall befasst haben - auch solche, die Walesa wohlwollend gegenüberstehen -, halten die in Kiszczaks Nachlass gefundenen Akten allerdings für authentisch. Der Historiker Jan Skorzynski schreibt in einem Ende vorigen Jahres erschienenen ausführlichen Aufsatz, die Dokumente trügen keine Spuren von Fälschungen: „Es sind zu viele, sie sind zu detailliert und konkret, zu stark verwurzelt im Kontext jener Jahre und dem Milieu, das sie behandeln, als dass man sie hätte präparieren können.“ Das von Skorzynski auf der Grundlage der Akten gezeichnete Bild Walesas zeigt indes keinen niederträchtigen Denunzianten, sondern einen jungen Arbeiter, der schockiert über das Blutvergießen auf den Straßen Danzigs ist und in einer einsamen Konfrontation mit der offensichtlich zu allem bereiten Staatsmacht aus Angst um seine Familie handelt: „Ich will Ruhe und will, dass mein Sohn vom Vater aufgezogen wird und nicht wie ich vom Waisenhaus“, äußert er im März 1971 gegenüber seinem Führungsoffizier.