Serbiens Ministerpräsident Dačić im Gespräch : „Ich bin es leid, Märchen über das Kosovo zu erzählen“
- -Aktualisiert am
Neuer Umgang mit alten Realitäten: der serbische Ministerpräsident Ivica Dačić im Oktober 2012 während eines Besuchs in Budapest Bild: dpa
Offen hat der serbische Ministerpräsident Ivica Dačić schon eingestanden, dass das Kosovo für Serbien weitgehend verloren ist. Im Interview mit der F.A.Z. geht er noch einen Schritt weiter: Serben und Albaner könnten sich „leicht“ auf einen Gebietstausch einigen.
Ivica Dačić gehört zu jenen Menschen, die den beträchtlichen Unterschied zwischen „sich entschuldigen“ und „um Entschuldigung bitten“ nicht kennen oder zumindest nicht berücksichtigen. Serbiens heutiger Ministerpräsident war fast ein Jahrzehnt lang ein Protagonist des Milosevi-Regimes, das nicht nur die Nachbarländer mit Kriegen überzog, sondern auch das eigene Volk ausraubte und die Gewinne auf zyprische Bankkonten überwies. Doch wo es angebracht wäre, um Entschuldigung zu bitten, vertritt Dacic im Gespräch mit der F.A.Z. die Ansicht, er könne sich bei seinem Volk für die von ihm mitgetragenen Verbrechen selbst entschuldigen. Seine Einschätzung: „Ich glaube, das sagt genug über mein Verhältnis zu dieser Zeit und zu Milosevic“ trifft dabei durchaus den Kern.
Dačić wurde 1966 in Prizren im Kosovo geboren, wo sein Vater als Polizist stationiert war. Als Sprecher des Milosevic-Regimes bis zu dessen Sturz im Oktober 2000 nahm er es mit der Wahrheit nicht allzu genau. Dass er sich diese Eigenschaft bewahrt hat, zeigt sich heute unter anderem im Umgang mit seiner Aussage aus dem Januar 2000, als er den wenige Tage zuvor ermordeten serbischen Freischärlerführer und Berufskriminellen Zeljko Raznatovic einen „serbischen Patrioten“ nannte. Heute sagt Dačić, zum Zeitpunkt dieser Aussage sei Raznatovic noch nicht vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt gewesen. Tatsächlich wurde Raznatovic dort aber bereits im September 1997 angeklagt.
„Deutschland für Balkankrieg verantwortlich“
Mehrfach machte Dačić Deutschland für den Krieg auf dem Balkan verantwortlich und bezeichnete die Deutschen als „völkermordendes Volk“. Heute bestreitet er, diese in serbischen Medien veröffentlichten und seinerzeit von ihm nicht angefochtenen Sätze gesagt zu haben.
Andererseits gesteht Dačić offen wie kein zweiter serbischer Regierungspolitiker ein, dass Serbien das Kosovo bis auf den serbisch dominierten Nordteil verloren hat. Das Kosovo erklärte sich im Februar 2008 mit Billigung des westlichen Teils der Staatengemeinschaft für unabhängig. Grundlage war ein Plan des finnischen UN-Vermittlers Martti Ahtisaari, der den Serben und anderen im Kosovo lebenden Minderheiten umfangreiche Rechte zusichert. Dačić bezeichnete es unlängst als „Lüge“ und „Märchen“, dass das Kosovo, wie offiziell in Belgrad bis heute behauptet, weiterhin Teil Serbiens sei. Im Gespräch mit der F.A.Z. ging er nun noch weiter und sagte, dass sich Serben und Albaner „mit Leichtigkeit“ auf einen Gebietstausch einigen könnten. Demnach würde der serbisch dominierte Teil des Kosovos an Serbien fallen, das albanisch besiedelte Presevo-Tal in Südserbien hingegen an das Kosovo.
Herr Ministerpräsident, wir wollen über die Zukunft Serbiens und des Balkans reden, doch nicht ohne einen Blick zurück: Sie waren acht Jahre lang der Sprecher von Slobodan Milošević und haben noch Jahre nach seinem Sturz in einem Interview gesagt, Sie seien stolz darauf, mit ihm gearbeitet zu haben. Was genau ist es, das Sie so stolz macht?