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Hilferufe aus Teheran : Drohen Millionen Corona-Tote in Iran?

  • -Aktualisiert am

Feuerwehrleute in Schutzanzügen desinfizieren eine Straße in Teheran. Bild: dpa

Die Corona-Epidemie überfordert die Islamische Republik. Zum ersten Mal bittet das Regime den IWF um Hilfe. Verschärft wird die Lage durch amerikanische Sanktionen und die Sturheit mancher Pilger.

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          Iran bittet die Staatengemeinschaft um Hilfe, um die rasche Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. So hat die Regierung von Präsident Hasan Rohani beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Stützungskredit von fünf Milliarden Dollar beantragt. Damit hat sich die Islamische Republik zum ersten Mal überhaupt seit der Revolution im Jahr 1979 an den Währungsfonds gewandt. Das Gesundheitsministerium forderte von der Regierung umgehend 250 Millionen Dollar an, um den Betrieb der Krankenhäuser, die an der Kapazitätsgrenze arbeiten, aufrechtzuerhalten zu können. Jeden Tag wollen sich in Teheran derzeit 30.000 Iraner in einem Krankenhaus untersuchen und behandeln lassen.

          Die Dramatik der Lage in Iran, dem nach China und Italien am stärksten vom Coronavirus betroffenen Land, zeigen auch die Hilferufe von Rohani und Außenminister Dschawad Zarif an die Staatengemeinschaft, nicht länger die amerikanischen Sanktionen zu befolgen und dem Land beizustehen. Denn die Vereinigten Staaten verhindern selbst die Lieferung humanitärer und medizinischer Güter. Zarif schrieb, die Sanktionen seien für den Tod vieler Iraner verantwortlich. Selbst ein Kredit des IWF würde damit Iran nicht viel nützen.

          Selbst für den günstigsten Fall werden 12.000 Tote prognostiziert

          Aufsehen hervorgerufen hat in Iran eine Studie der angesehenen Technischen Sharif-Universität in Teheran, die selbst im Staatsfernsehen zitiert wird. Die Wissenschaftler haben mit Computermodellen drei Szenarien für den weiteren Verlauf simuliert. In dem günstigsten Fall käme es demnach zu 12.000 Todesopfern; Voraussetzung dafür ist, dass alle Iraner diszipliniert kooperieren, die am stärksten betroffenen Gebiete unter Quarantäne gestellt werden und es keinen Mangel in der medizinischen Versorgung gebe. 

          In dem realistischeren Fall, bei dem diese Voraussetzungen nur teilweise erfüllt werden, rechnen die Forscher mit 110.000 Toten. Im schlimmsten Fall – sollte es also keine Befolgung der Anordnungen und auch keine Quarantäne geben – seien jedoch auch 3,5 Millionen Tote möglich, da dann das Gesundheitssystem völlig zusammenbrechen werde.

          Nach offiziellen Angaben sind in Iran bislang 1135 Menschen an den Folgen des Virus gestorben. Offiziell registriert wurden 17.361 Infizierte. Die Dunkelziffer dürfte jedoch viel höher liegen. Ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagte nach einem Besuch in Iran, dass die offiziell registrierten Fälle mutmaßlich lediglich ein Fünftel der tatsächlichen Fälle betrügen. Die Exilopposition des Nationalen Widerstandsrats Iran, dessen Zahlen sich in der Vergangenheit oft als zutreffend erwiesen haben, beziffert die Zahl der Todesopfer bereits mit 5950 in 194 Städten.

          Am Stadtrand von Qom werden große Flächen für Gräber ausgehoben

          Die Voraussetzungen für eine Eindämmung des Virus sind kaum gegeben. Revolutionsführer Ali Chamenei hat zwar ein Verbot nicht notwendiger Reisen im Land angeordnet. Die Versorgung der Krankenhäuser ist aber schlecht, nicht zuletzt wegen der Sanktionen. In Qom, wo ein als heilig verehrter Schrein der Ausgangsort für die schnelle Verbreitung des Virus war, haben Gläubige die neu errichtete Eingangssperre um die Moschee durchbrochen, um dort wieder gemeinsam zu beten. Ajatollahs hatten zuvor verhindert, die ganze Stadt Qom unter Quarantäne zu stellen, und der Regierung Rohani ist es bislang auch nicht gelungen, eine Quarantäne für Teheran anzuordnen. Der Bürgermeister der Hauptstadt sagte, man würde die Menschen unter Quarantäne nicht versorgen können. Auch werden weiter Inhaftierte entlassen. Vorläufig wurde die seit knapp vier Jahren inhaftierte britisch-iranische Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe aus dem Teheraner Evin-Gefängnis entlassen. Grund ist eine vermutete Corona-Infektion. Ihr war vorgeworfen worden, sie habe sich an den Protesten von 2009 beteiligt.

          Die iranische Führung stellt sich offenbar auf einen weiteren dramatischen Anstieg der Todeszahlen ein. So hatte die Zeitung „Washington Post“ am 12. März Satellitenaufnahmen veröffentlicht, die zeigen, wie am Stadtrand von Qom große Flächen mit langen Reihen für Gräben ausgehoben worden sind. Der Leiter des Krisenstabs für den Kampf gegen das Coronavirus, der Mediziner Alireza Zali, sagte, die Ausbreitung des Virus sei in Teheran und im ganzen Land außer Kontrolle. Landesweit geht die Polizei gegen angeblich „falsche Propaganda“ vor, die in den sozialen Medien über das Virus verbreitet würden. In der iranischen Führung besteht offenbar die Furcht, dass ein Scheitern im Kampf gegen das Virus die Legitimation der Islamischen Republik dramatisch untergraben werde.

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