Eine Ampulle mit Remdesivir am Universitätsklinikum in Essen Bild: EPA
Die EU hat das erste Medikament gegen Covid-19 zugelassen – doch vorerst liefert der Hersteller Gilead nur nach Amerika. In Brüssel wird Druck aufgebaut: Notfalls könne man Remdesivir auch gegen den Willen von Gilead für Europa herstellen lassen.
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Am Freitag hat die EU-Kommission erstmals ein Medikament zur Behandlung von Covid-19 freigegeben: Remdesivir. Von „einem wichtigen Schritt im Kampf gegen das Virus“ sprach die Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Man erteile diese Genehmigung „weniger als einen Monat, nachdem der Antrag eingereicht wurde“ und stelle damit die Entschlossenheit der EU unter Beweis, „schnell zu reagieren, sobald neue Behandlungen verfügbar werden“. Jedoch verschwieg die Kommissarin aus Zypern ein wichtiges Detail: In absehbarer Zeit wird das Medikament für Europäer nicht verfügbar sein. Die amerikanische Regierung hat sich Ende Juni 500.000 Behandlungseinheiten vertraglich gesichert. Das entspricht der gesamten Produktion des einzigen Herstellers Gilead bis Juli und neunzig Prozent seiner Kapazitäten im August und September.
Den Fachleuten in Brüssel ist das nicht verborgen geblieben. Sie sehen mit Argwohn, wie die Regierung von Donald Trump Exklusivverträge schließt. Der CDU-Gesundheitspolitiker im Europäischen Parlament Peter Liese stieß deshalb am Freitag eine unmissverständliche Drohung aus. „Ich halte es für notwendig, dass Gilead sein Wissen mit anderen Unternehmen teilt und diese auch als Wettbewerber in den Markt lässt, damit die Versorgung für eine möglichst große Zahl von Patienten weltweit gewährleistet ist“, teilte Liese mit. Man setze dabei auf Kooperation und Dialog. Sollte das scheitern, gebe es aber auch einen Plan B: „Es ist möglich, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam Zwangslizenzen erteilen, das heißt auch gegen den Willen von Gilead die Herstellung des Medikamentes in der EU durch andere Firmen ermöglichen, und wir ziehen auch handelspolitische Maßnahmen in Erwägung.“
Wie in Brüssel zu hören ist, bereiten sich Frankreich und Deutschland schon seit längerem auf ein Szenario mit Zwangslizenzen vor. Die rechtliche Grundlage dafür findet sich im Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums von 1995, kurz Trips. Darin ist festgehalten, dass das Patentrecht seine Grenze im Fall notwendigen Schutzes der „öffentlichen Ordnung“ findet, wozu der „Schutz der Gesundheit von Menschen“ gehört. Das Abkommen gesteht den Staaten das Recht zu, „notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Gesundheit und Ernährung zu sichern“. Artikel 31 regelt die Bedingungen für eine mögliche Zwangslizenz. Damit ist die Vergabe der Produktionserlaubnis an einen Produzenten im eigenen Land gemeint, ohne Genehmigung des Patentinhabers.
Handelspolitische Schritte gegen Washington?
Liese will, dass die Kommission einen solchen Schritt koordiniert und ihn die Mitgliedstaaten dann gemeinsam ergreifen; nur sie sind Vertragsparteien. Der Punkt findet sich auch in einem Positionspapier zur Gesundheitspolitik, das seine Fraktion, die christlich-demokratische Europäische Volkspartei, am Mittwoch einstimmig angenommen hat. Dort heißt es, mit Bezug auf einen Impfstoff gegen Covid-19: „Wenn ein Impfstoff außerhalb Europas entwickelt wird und andere ihn nicht mit uns teilen wollen, haben wir auch einen Plan B“, nämlich „Zwangslizenzen zu vergeben“. Liese berichtet, dass er öfter in Kontakt mit Vertretern des Unternehmens Gilead stehe, das auch noch andere Medikamente herstelle und damit auf den europäischen Markt dränge. „Die Frage, wie die europäischen Institutionen diese Firma sehen, hängt jetzt sehr davon ab, dass wir fair behandelt werden“, sagt der Gesundheitspolitiker, der selbst Arzt ist.
Der CDU-Mann hält außerdem handelspolitische Folgen für notwendig, wenn die amerikanische Regierung ihren Kurs in der Gesundheitspolitik fortsetzt. Als Vorbild sieht er eine Liste von Strafzöllen auf amerikanische Produkte, mit der die EU-Kommission auf Amerikas Wiedereinführung von Zöllen auf Stahl und Aluminium reagiert hat. „Die Gesundheit der Bürger und die Überwindung dieser schweren Krise muss uns mindestens so wichtig sein wie die europäische Autoindustrie. Deswegen müssen wir bereit sein, auch handelspolitische Sanktionen zu verhängen“, sagte er am Freitag der F.A.Z.
Die EU-Kommission hat für Remdesivir im Schnellverfahren eine bedingte Marktzulassung erteilt. Das bedeutet, dass das Medikament nach Einschätzung der Experten wahrscheinlich wirksam und nebenwirkungsarm ist. Dies muss während der Behandlung aber weiter untersucht werden; das Unternehmen muss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bis Dezember entsprechende Berichte einreichen. Das Schnellverfahren, „rolling review“ genannt, wendet die EMA bei Notfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit an.