Lockerung des „Lockdowns“ : Die Frage nach dem Exit entzweit Italien
- -Aktualisiert am
Berittene Beamte kontrollieren am Osterwochenende einen Passanten im Rom. Bild: dpa
Regierungschef Conte gelingt es trotz 450 Beratern und Experten nicht, einen überzeugenden Plan für den Übergang zu normaleren Verhältnissen zu entwickeln. Die Debatte um „Phase 2“ facht alte Konflikte zwischen Norden und Süden wieder an.
Anfang Mai wird der „Lockdown“, den die Regierung in Rom den sechzig Millionen Einwohnern des Landes auferlegt hat, rund acht Wochen gedauert haben. Die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und auch der Wirtschaftstätigkeit sind in Italien so streng und so lang andauernd wie sonst nirgendwo in Europa. Am kommenden Samstag etwa feiert das Land den „Tag der Befreiung“ vom Faschismus vor 75 Jahren. Begangen wird er in diesem Jahr aber nur im Privaten. Denn wegen der Ausgangssperre und weiterer Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie darf es keine Kundgebungen, keine Ansammlungen von Menschen geben.
Wie schon zu Ostern dürften die Polizeikontrollen verschärft werden, damit niemand auf die Idee kommt, über den Feiertag die Brücke zu einem verlängerten Wochenende zu bauen. So wird es wohl auch am 1. Mai sein. Da die Regierung die Ausgangssperre gerade erst bis zum 3. Mai verlängert hat, wird sie diese kurz vor deren ersehntem Ende nochmals mit Entschiedenheit durchsetzen. Schon aus Prinzip.
Immens sind für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone auch die Kosten der wirtschaftlichen Beschränkungen. Nach einer jüngst veröffentlichten Schätzung des Svimez-Instituts, einer gemeinnützigen privaten Forschungseinrichtung, büßt Italien im Pandemie-Ausnahmezustand pro Monat rund 47 Milliarden Euro ein. Von diesen Verlusten trägt der Norden, die stark exportorientierte Lokomotive Italiens, allein 37 Milliarden Euro. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds wird die Wirtschaft Italiens in diesem Jahr um 9,1 Prozent schrumpfen. Das ist der höchste Rückgang in der EU.
Wie soll „Phase 2“ aussehen?
Seit rund zwei Wochen wird in Italien deshalb ein anderer, ein aktueller Befreiungskampf geführt. Es geht um den Zeit- und Fahrplan zur „Phase 2“. So wird in Italien der Übergang vom akuten Notstand zu einigermaßen normalen Verhältnissen genannt. Bei diesem Armdrücken brechen alte Widersprüche wieder auf, die in der Frühphase der Viruskrise vom deklarierten Gefühl der nationalen Einheit nur notdürftig überdeckt worden waren.
Da ist zuvörderst der Streit zwischen dem wirtschaftsstarken Norden und dem strukturschwachen Süden. In Venetien hat Regionalpräsident Luca Zaia von der rechtsnationalistischen Lega schon Anfang voriger Woche verkündet, in seiner Region mit rund fünf Millionen Einwohnern seien „Lockdown“ und „Shutdown“ faktisch schon aufgehoben. Die Wirtschaft nehme unter Einhaltung der einschlägigen Hygiene- und Abstandsvorschriften wieder Fahrt auf, sagte Zaia. Auch in der vom Coronavirus besonders heimgesuchten Lombardei, wo gut zehn Millionen Menschen leben, hat Regionalpräsident Attilio Fontana Pläne für eine Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit lange vor dem 3. Mai entwickelt. Auch Fontana gehört der Lega an, die vom früheren Innenminister Matteo Salvini geführt wird.
In einem offenen Brief an Ministerpräsident Giuseppe Conte hatten die Arbeitgeberverbände der Lombardei, Venetiens, des Piemonts und der Emilia-Romagna schon vor Ostern davor gewarnt, dass „der Motor des Landes ganz absterben“ werde, sollte er nicht bald wieder auf Touren kommen. In den vier Regionen werden 45 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung erbracht und mehr als 60 Prozent der landesweiten Exporterlöse erzielt.