https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/china-festnahmen-junger-frauen-nach-null-covid-protesten-18628269.html

Festnahmen in China : „Wenn ihr dieses Video seht, bin ich verschleppt worden“

Mahnwache am 27. November 2022 gegen die Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung und zum Gedenken an die Opfer eines Hochhausbrandes in Urumtschi Bild: Reuters

Die Proteste gegen die Null-Covid-Politik in China sind schon fast vergessen. Jetzt hat die Polizei zahlreiche Teilnehmer der Demonstrationen festgenommen – darunter auffallend viele junge Frauen.

          3 Min.

          Zwei Monate ist es her, dass in mehreren chinesischen Städten Tausende gegen Xi Jinpings Null-Covid-Politik auf die Straße gingen. Während der Proteste hielt sich die Polizei mit Festnahmen auffallend zurück. Doch Wochen später wurden still und heimlich zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer inhaftiert. Wie viele es sind, weiß niemand. Der Sicherheitsapparat gibt darüber keine Auskunft. Die Familien der Betroffenen schweigen.

          Friederike Böge
          Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

          Vor einigen Tagen wurde ein Video in mehreren sozialen Netzwerken verbreitet. Darin erzählt eine junge Frau, die sich als Zhixin vorstellt, dass vier ihrer Freundinnen vom 18. Dezember an, eine nach der anderen, von der Polizei abgeholt worden seien. Die Beamten hätten Haftbefehle vorgezeigt, auf denen das Feld für den Haftgrund blank gewesen sei. „Wenn ihr dieses Video seht, werde ich, wie meine Freunde, von der Polizei verschleppt worden sein“, sagt Zhixin, eine Verlagsmitarbeiterin, in die Kamera. Sie habe Leute beauftragt, die Aufnahme zu veröffentlichen, falls sie verschwinde.

          Der amerikanische Radiosender NPR berichtete unter Berufung auf Freunde der jungen Frau, dass sie an Heiligabend im Haus ihrer Eltern in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, in Gewahrsam genommen worden sei. Laut dem Sender CNN wurde sie inzwischen angeklagt. Ihr wird demnach vorgeworfen, „Streit angefangen und Ärger provoziert“ zu haben – ein vager Straftatbestand, der in China oft gegen Kritiker des Regimes in Stellung gebracht wird.

          „Wo sind die Beweise?“

          Insgesamt befänden sich acht Personen aus dem gleichen Freundeskreis in den Händen der Polizei, berichtet der Sender CNN. Dazu zähle auch eine Person, die versucht habe, die Familien der Betroffenen zu kontaktieren, um deren Verteidigung vor Gericht zu organisieren. Vier von ihnen werden in dem Video namentlich genannt. Es sind junge Frauen, Kultur- und Medienschaffende, die das Interesse an feministischen Themen verbindet.

          Wie Hunderte andere waren sie nach Zhixins Schilderung am Abend des 27. November an den Liangma-Fluss in Peking gekommen, um mit einer Mahnwache den Opfern eines Hochhausbrandes in Urumtschi zu gedenken. Der Brand hatte die Wut über die Null-Covid-Politik befeuert, weil die Rettungsarbeiten der Feuerwehr wohl durch Corona-Maßnahmen behindert wurden. In den Tagen danach waren die Frauen auf ein Polizeirevier bestellt und ausgefragt worden. So ging es vielen.

          Offenbar hatte die Polizei sie über die Ortung ihrer Handys als Teilnehmer identifiziert. Zhixin sagt, sie habe gedacht, dass die Sache damit erledigt sei. Sie beschreibt sich als sozial engagiert, aber nicht als Dissidentin. Mit Verweis auf die Opfer des Hochhausbrandes in Urumtschi sagt sie, „wenn unsere Mitbürger sterben, haben wir ein Recht darauf, unsere legitimen Gefühle auszudrücken.“ Sie hätten sich an alle Vorgaben der Polizei gehalten.

          Warum ausgerechnet sie es sind, die von der Polizei aus der Masse der Demonstrierenden herausgegriffen wurden, um sie vor Gericht zu stellen, ist unklar. Zhixin selbst wirft diese Frage auf. „Wir wollen wissen, warum wir es sind, die verurteilt werden sollen. Wo sind die Beweise?“ Sie äußert den Verdacht, dass es der Polizei vor allem darum gehe, eine Vorgabe von oben zu erfüllen. Sie verweist auf Xi Jinpings Äußerungen gegenüber dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel. Nach Angaben aus Brüssel soll er die Demonstrierenden im Gespräch mit Michel Anfang Dezember als „frustrierte Jugendliche“ bezeichnet haben. „Wofür also diese Rache?“, fragt Zhixin.

          Warum so viele Frauen?

          Nach der Veröffentlichung des Videos haben Unterstützer damit begonnen, Informationen über weitere Verschwundene zusammenzutragen und sie im Internet zu verbreiten. Laut dem chinesischen Menschenrechtsblog Weiquanwang befinden sich mindestens neun Personen noch in den Händen der Polizei. Mindestens zwölf weitere seien gegen Kaution entlassen worden. In China bedeutet dies in der Regel, dass die Betroffenen weiter überwacht werden und sich nicht frei bewegen können. Möglicherweise wurden sie freigelassen, weil nach 37 Tagen die Zeit ausläuft, in der sie ohne formelle Verhaftung von der Polizei festgehalten werden können. Die letzten bisher bekannten Festnahmen fanden demnach am 15. Januar statt.

          Nach Informationen der Medienorganisation Reporter ohne Grenzen sind unter den Freigelassenen zwei Journalistinnen: eine Mitarbeiterin der Parteizeitung „Beijing News“ und eine freie Journalistin, die früher für die Wirtschaftszeitschrift „Caixin“ tätig war. Ihre frühere Hochschule, die University of Chicago, hatte zuvor deren Freilassung gefordert.

          Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Festgenommenen höher ist. „Sicher gibt es viele, von denen wir nichts wissen. Der Grund, warum wir von diesen Personen wissen, ist, dass sie mit Aktivisten in Verbindung stehen“, sagt Yaqiu Wang, die in der Organisation zu Chinathemen forscht. Sie hält es nicht für einen Zufall, dass unter den Festgenommenen viele junge Frauen sind, die sich in der Vergangenheit für Frauenrechte engagiert haben. Chinas Zivilgesellschaft ist in den vergangenen Jahren durch Repression immer mehr in die Defensive gebracht worden. Frauenrechtsaktivistinnen gehören zu den aktivsten Teilen der Zivilgesellschaft.

          Dem Vernehmen wurden auch in Urumtschi Teilnehmer von Protesten festgenommen. Dort fand unmittelbar nach dem Hochhausbrand die erste und vielleicht größte Demonstration gegen die Null-Covid-Politik statt. Was nach den Festnahmen geschah, ist unklar. Damals hatte die für den Sicherheitsapparat zuständige Parteikommission gedroht, „mit Entschlossenheit gegen illegale und kriminelle Handlungen vorzugehen, die die soziale Ordnung stören.“

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Endlich Aufbruch: Christian Lindner, Ricarda Lang und Lars Klingbeil (von links) nach der Einigung

          Kompromisse der Ampel : 144 Engpässe in 30 Stunden

          Die Ampel verhandelt im Koalitionsausschuss zweieinhalb Tage über ein „großes Werkstück“. Die Grünen-Vorsitzende Lang sagt, es seien „auf keinen Fall“ einfache Verhandlungen gewesen.
          Die Yacht „Luna“ des angeblichen Fluchers Farchad Achmedow wurde im vergangenen Jahr im Hamburger Hafen festgesetzt.

          Flüche gegen Russlands Führung : Wie Kakerlaken im Glas

          Ein angeblicher Gesprächsmitschnitt zweier Mitglieder der russischen Elite sorgt für Aufruhr. Darin wird Präsident Putin unter anderem als „Satan“ bezeichnet.
          Ein außerirdischer Ansatz: So soll der KI-Innovationspark aussehen.

          Lidl-Kaufland-Konzern : Ein KI-Ufo für Heilbronn

          Die Milliarden des Lidl-Kaufland-Imperiums krempeln Heilbronn um. Der Konzern baut nun mit öffentlicher Förderung einen Stadtteil für Künstliche Intelligenz. Nach heftiger Kritik versuchen die Beteiligten die Wogen zu glätten.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.