Erdogan und die Pressefreiheit : Bundesregierung weist türkischen Satire-Protest zurück
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Ärger über ein Satire-Lied: Präsident Erdogan wurde darin für die gnadenlose Niederschlagung des Kurdenaufstands kritisiert. Bild: AP
Nach heftiger Kritik am Schweigen meldet sich die Bundesregierung zu Wort: Außenminister Frank-Walter Steinmeier fordert die Türkei auf, sich an europäische Grundwerte zu halten.
Im Streit um ein Satire-Video hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Türkei aufgefordert, sich an europäische Grundwerte zu halten. „Ich finde, dass wir von einem Partnerland der Europäischen Union erwarten können (...), dass es unsere gemeinsamen europäischen Werte teilt“, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einem Besuch in Usbekistan. Zugleich wehrte er sich gegen den Vorwurf, die Bundesregierung habe aus Rücksicht auf die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu lange geschwiegen.
Staatssekretär Markus Ederer hatte bereits am Dienstagabend in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen deutlich gemacht, dass die Presse- und Meinungsfreiheit „nicht verhandelbar“ sei, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Mittwoch mitteilte.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz teilte mit, der Wert der Meinungsfreiheit sei auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei verschiedenen Gelegenheiten unterstrichen worden, etwa in der Abschlusserklärung des EU-Gipfels Mitte März.
Am Mittwochmorgen hatte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen die Kritik an der Bundesregierung zurückgewiesen. Er habe „keinen Zweifel“, dass die Bundesregierung „die zweifelsfreie Geltung“ von Grundrechten in Deutschland „auf ihren Wegen und ihren Kanälen“ zum Ausdruck gebracht habe, sagte Röttgen am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Auch der deutsche Botschafter habe das getan.
Türkei und die Pressefreiheit : Bundesregierung und NDR äußern sich zu Erdogan-Satire
Die NDR-Sendung „extra 3“ hatte in der vergangenen Woche ein zweiminütiges Musikvideo mit dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ veröffentlicht und ins Netz gestellt. „Ein Journalist der was verfasst, das Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast“, lautet eine Zeile. Neben der Einschränkung der Pressefreiheit werden dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in dem Lied auch eine erbarmungslose Niederschlagung des Kurdenaufstands und ein hartes Vorgehen gegen Frauen vorgeworfen. Aus Empörung darüber hatte die türkische Regierung den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellt.
EU-Kommissionspräsident Juncker kritisiert Erdogan für sein Vorgehen. „Präsident Juncker hat kein Verständnis dafür, wenn der deutsche Botschafter nur wegen eines satirischen Songs einbestellt wird“, sagte eine Sprecherin am Mittwoch in Brüssel. Der Kommissionschef sei der Überzeugung, dass dies die Türkei weiter von der EU entferne. Der Schritt scheine mit der Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit nicht in Einklang zu stehen.
Obwohl dieses Verhalten nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entspreche, spreche es „nicht gegen die Kooperation mit der Türkei“, sagte Röttgen im ZDF. Deutschland müsse seine rechtsstaatlichen Grundsätze aber in dieser Kooperation klar benennen. Am Dienstag hatte Röttgen die Einberufung des deutschen Botschafters bereits als „aussichtslose Anmaßung“ und „inakzeptablen und wirkungslosen“ Einschüchterungsversuch bezeichnet. Im „Morgenmagazin“ sagte Röttgen am Mittwoch weiter, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei sei ein „Testfall, ob die Türkei rechtliche Vereinbarungen auch umsetzt“.
Röttgen: Erdogans Vorgehen „kein Weg in die Europäische Union“
Die aktuelle Entwicklung der Türkei unter Präsident Erdogan, der die Unabhängigkeit der Justiz und grundlegende Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit „systematisch“ einschränke, sei „kein Weg in die Europäische Union“, stellte Röttgen klar. „Das muss man klar benennen“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Er habe sich darum auch „sehr darüber gefreut“, dass der deutsche Botschafter als Zuschauer an einem Prozess gegen zwei türkische Journalisten teilgenommen habe. „Die Öffentlichkeit von gerichtlichen Verfahren ist ein wesentlicher rechtsstaatlicher Grundsatz“, sagte Röttgen. Die Anwesenheit des Botschafters sei außerdem als „zulässige Demonstration für die Geltung von Pressefreiheit in der Türkei“ zu verstehen. Die Kritik an dem Diplomaten sei deshalb „unberechtigt und ist zurückzuweisen“.
Erdogan hatte vergangene Woche wütend auf die Anwesenheit Erdmanns und anderer europäischer Diplomaten bei dem umstrittenen Prozess gegen den „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül reagiert. „Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei“, hatte der Präsident sich empört. Die türkische Staatsanwaltschaft erwirkte daraufhin für den weiteren Prozess einen Ausschluss der Öffentlichkeit.
Annen: „Erdogan hat klassisches Eigentor geschossen“
Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen kritisierte die Reaktion des türkischen Präsidenten auf die Satire unterdessen als „völlig unangemessen“. Der SPD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss sprach am Mittwoch im Deutschlandfunk von einer „außerordentlich ungewöhnlichen" Entscheidung, deswegen den deutschen Botschafter einzubestellen. Erdogan und die türkische Regierung hätten damit „ein klassisches Eigentor“ geschossen. Statt das Ansehen und die Ehre des Präsidenten zu schützen, sei das Gegenteil geschehen. „Ich glaube, dass das dem Ruf der Türkei nicht unbedingt geholfen hat“, sagte Annen.
Auch der Sozialdemokrat widersprach Vorwürfen, die Bundesregierung habe das Vorgehen Erdogans gegen das Satire-Stück nicht deutlich genug zurückgewiesen. Botschafter Martin Erdmann habe in Ankara deutlich gemacht, dass in Deutschland die Justiz und die Presse unabhängig seien, sagte Annen. Diese Position habe auch das Auswärtige Amt über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet. Das zeige, dass sich die Bundesregierung an dieser Stelle nicht zurückhalte und sie eine eindeutige Haltung dazu habe. Im Übrigen hätten alle deutsche Bundestagsparteien Erdogans Vorgehen kritisiert. „Das heißt, es gibt eine klare Haltung der deutschen Politik“, sagte Annen. Weder Kanzlerin Angela Merkel noch Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder Regierungssprecher Steffen Seibert haben sich bislang zu dem Vorgang geäußert.