Neues Verfahren eingeleitet : Brüssel geht gegen Polens „Maulkorb-Gesetz“ vor
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Die Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová am Mittwoch in Brüssel Bild: Reuters
Im Konflikt mit Warschau um die Rechtsstaatlichkeit legt die EU-Kommission nach. Lenkt die PiS-Regierung diesmal ein? Demnächst drohen Warschau empfindliche finanzielle Strafen.
Die EU-Kommission hat am Mittwoch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen der Justizreformen dort eingeleitet. Es bezieht sich auf das Gesetz zur Disziplinierung von Richtern, das am 14. Februar in Kraft getreten ist. „Das neue Gesetz untergräbt die Unabhängigkeit polnischer Richter und ist nicht mit dem Primat europäischen Rechts zu vereinbaren“, sagte die zuständige Vizepräsidentin Věra Jourová.
Polnische Richter dürften sich nicht mehr an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wenden und ihn um Vorabentscheidungen bitten. „Das untergräbt das Fundament des europäischen Rechtssystems“, so Jourová. Es bestehe zudem die Gefahr, dass richterliche Entscheidungen politisch kontrolliert würden.
Brüssel bereit zu Dialog
Jourová verwies auch auf die europäische Dimension: Gerichte in anderen Staaten müssten sich darauf verlassen können, dass polnische Richter unabhängig urteilten. Sie sei zu einem „fairen und offenen Dialog“ mit der polnischen Regierung bereit, sagte die Vizepräsidentin. Warschau hat nun zwei Monate Zeit, um auf die Eröffnung des Verfahrens zu reagieren.
Gemäß dem Gesetz, das in Polen „Maulkorb-Gesetz“ genannt wird, müssen Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar Entlassung rechnen, wenn sie die Befugnisse oder die Rechtmäßigkeit eines anderen Richters, einer Kammer oder eines Gerichts – zum Beispiel aufgrund seiner Besetzung nach den neuen Spielregeln der Regierung – infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen. Außerdem wird es als Disziplinarvergehen eingestuft, wenn Richter eine Streitfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen oder sich in Urteilen auf vorgeordnetes europäisches Recht berufen.
Während die polnische Regierung darauf verweist, dass die Organisation der Gerichte allein ihre Sache sei, beruft sich die Kommission darauf, dass gleichwohl die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden müsse. Denn nur dann könnten EU-Bürger das ihnen gemäß der europäischen Verträge zustehende Recht auf wirksamen Rechtsschutz auch ausüben.
Das Vertragsverletzungsverfahren steht in engem Zusammenhang mit einem weiteren Verfahren, das die Kommission schon vor einem Jahr eingeleitet hat und das bereits den EuGH erreicht hat. Am 8. April erließen die Luxemburger Richter auf Antrag der Kommission eine einstweilige Anordnung. Demnach muss Polen die neu geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aussetzen. Die dort anhängigen Disziplinarverfahren, auch solche die sich auf das Gesetz vom 14. Februar beziehen, können nicht weiterverfolgt werden.
Reaktion auf juristische Niederlage
Warschau hat einen Monat Zeit, dem Gericht alle Maßnahmen mitzuteilen, die es getroffen hat, um der Anordnung Folge zu leisten. Bis jetzt ist das nicht geschehen. Vielmehr haben Vertreter der PiS-Regierung in ersten Reaktionen bekundet, dass sie die Autorität des EuGH nicht anerkennen. In diesem Fall droht eine weitere Eskalation des Konflikts. Die EU-Kommission hat sich nämlich ausdrücklich vorbehalten, ein Zwangsgeld gegen Polen beim EuGH zu erwirken. Dann wird ein Satz in sechsstelliger Höhe für jeden Tag fällig, an dem das Land der Anordnung nicht Folge leistet.