Der britische Premierminister Boris Johnson unterzeichnet am Mittwoch das Abkommen mit der EU über die künftigen Handelsbeziehungen nach dem Brexit. Bild: Getty
Das britische Unterhaus hat mit großer Mehrheit für den Brexit-Handelsvertrag gestimmt. Premierminister Boris Johnson sagte, durch das Abkommen würden die EU und London erst richtig zusammengebracht.
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Die Sondersitzung hatte schon begonnen, als eine kleine Militärmaschine auf dem Londoner City Airport landete. Darin befand sich der Vertrag mit den Unterschriften, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Charles Michel, der EU-Ratspräsident, am Morgen unter das Papier gesetzt hatten. Ein Kurier brachte das Dokument in die Downing Street, wo es Boris Johnson nach den Debatten in beiden Kammern des Parlaments unterzeichnen sollte – und danach noch die Queen. Schon an diesem Donnerstag um 23 Uhr Ortszeit soll der Vertrag über die künftigen Beziehungen in Kraft treten, und trotz (und auch ein bisschen wegen) der Eile gab es am Vortag keinen Zweifel, dass es genau so kommen würde.
Anders als bei den Versuchen Theresa Mays, ihre Austrittsverträge durchs Parlament zu bringen, lag am Mittwoch keine Spannung über Westminster. Es war eher wie im Januar, als Boris Johnson seine Version des Austrittsabkommens fast routinehaft durchgesetzt hatte. Die Messe war gelesen, bevor der erste Abgeordnete überhaupt das Wort ergreifen konnte, und die für nur fünf Stunden angesetzte Debatte im Unterhaus schien das widerzuspiegeln. „Lachhaft“ nannte Damian Green, einstmals Mays Stellvertreter, die Debattenzeit. Andere fragten höhnisch, wie diese „Abnick“-Aktion mit der angeblich neuen Souveränität des Parlaments zu vereinbaren sei.
Bange Momente für Johnson
Ein paar Tage lang hatte Johnson noch bangen müssen – nicht um die Mehrheit, aber um die Geschlossenheit seiner Fraktion. Die Erz-Brexiteers wollten ihr Abstimmungsverhalten erst kundtun, nachdem sich ein Gremium von Verfassungsrechtlern durch die mehr als 1200 Vertragsseiten gewühlt hatte. Rechtzeitig vor der Sondersitzung kam dann das Verdikt: Nach sorgfältiger Prüfung sei man zu dem Schluss gekommen, dass der Vertrag „die Souveränität des Vereinigten Königreichs rechtlich bewahrt“.
Ab diesem Moment durfte Johnson stolz auf die absolute Mehrheit aus eigener Kraft zählen. Für die anderen Parteien ging es damit nicht mehr um taktische Fragen, sondern nur noch um die Art ihres Eintrags in die Geschichtsbücher.
Die kleinen Oppositionsfraktionen entschlossen sich zu einer Ablehnung: die nordirische DUP, weil sie den neuen Sonderstatus Nordirlands kritisiert, die Schottischen Nationalisten, die Liberaldemokraten, die walisische Plaid Cymru und die Grünen, weil sie den Austritt nie wollten. Der Libdem-Vorsitzende Ed Davey sprach für viele in dieser Gruppe, als er sagte: „Ein Deal, der Arbeitsplätze kostet, die Bürokratie erhöht, unsere auf Dienstleistung basierende Wirtschaft trifft, unsere Polizei untergräbt und der Zukunft unserer Jugend schadet, ist ein schlechter Deal.“
Eine andere Haltung nahm die größte Oppositionsfraktion ein. Labour-Chef Keir Starmer kritisierte zwar ebenfalls Aspekte des Abkommens, vor allem den Mangel an Regelungen für den britischen Dienstleistungssektor, gleichwohl unterstützte er es. Es sei „der einzige Deal, den wir haben“, argumentierte er und nutzte den Augenblick, um die Gräben – auch in der eigenen Partei – zuzuschütten. „Der Streit zwischen ,Leave‘ und ,Remain‘ ist vorbei, auf welcher Seite man auch gestanden hat“, sagte Starmer.
„Neues Verhältnis zwischen Großbritannien und EU“
Einige wenige in seiner Partei sahen das anders und versagten dem Deal ihre Stimme, aber das veränderte nicht den Gesamteindruck. Starmer bemüht sich erkennbar, die Ära Corbyn hinter sich zu lassen und seine Partei – wie sich selbst – als staatstragend zu präsentieren. Man habe jetzt die Gelegenheit, auf Grundlage des Abkommens „eine neue Zukunft zu gestalten“, sagte er und hob hervor, dass „wir immer europäisch sein werden“.
Das klang nicht viel anders als beim Premierminister selbst. Johnson forderte die Abgeordneten auf, nun „ein neues Kapitel in unserer Nationalgeschichte aufzuschlagen“. Das Abkommen mit der EU erlaube es Großbritannien, wieder „Kontrolle über unsere Gesetze und unser nationales Schicksal zu haben“. Er sprach von einem „neuen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU als souveränen Gleichen“. Dies sei begleitet von Freundschaft, Handel sowie gemeinsamen Interessen und Werten, „während beide Seiten die Handlungsfreiheit des jeweils anderen respektieren und anerkennen, dass wir nichts zu fürchten haben, wenn wir manchmal Dinge anders machen“.
Aus Johnsons Sicht bringt erst die Trennung die beiden Partner wirklich zusammen: „Erst standen wir abseits, dann wurden wir halbherzige, zuweilen obstruktive Mitglieder der EU. Jetzt, mit diesem Vertrag, werden wir freundliche Nachbarn werden – die besten Freunde und Verbündeten, die die EU haben könnte.“