Reaktion auf Afghanistan-Krise : Britische Minister schieben sich gegenseitig die Schuld zu
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Dominic Raab am Freitag in Pakistan Bild: AP
Großbritanniens Verteidigungsminister will schon im Juli im Außenministerium auf eine schnelle Evakuierung in Kabul gedrängt haben. Der Außenminister weist das zurück und Premierminister Johnson greift nicht ein.
Seit Tagen spielen die britische Ministerien für Äußeres und Verteidigung, was man im Englischen ein „blame game“ nennt. Beide Häuser, bis hin zu den Spitzen, werfen sich vor, die Lage in Afghanistan falsch eingeschätzt und sich unprofessionell verhalten zu haben. Von einer Rede, die Premierminister Boris Johnson am Donnerstagabend vor aus Kabul heimgekehrten Soldaten hielt, hatten sich manche einen Schlussstrich erhofft. Doch die Worte des Premierministers wurden eher als Einmischung zugunsten seines Verteidigungsministers Ben Wallace und als weitere Distanzierung von seinem Außenminister Dominic Raab interpretiert.
Raab, der seit seiner späten Rückkehr aus dem Sommerurlaub unter politischem Druck steht, hatte die Verantwortung für die späte Reaktion in Kabul den Kollegen vom „MoD“ (Ministry of Defence) zugewiesen, genauer: den zugeordneten Geheimdiensten. „Die Einschätzung war eindeutig falsch, und dafür liegt die Hauptverantwortung sicher nicht beim Foreign Office“, sagte Raab. Kein Ministerium sei „besser gewesen“, und sein Haus solle an der erfolgreichen Evakuierung gemessen werden.
Im MoD wurde daraufhin nicht nur erinnert, dass die Evakuierungen überwiegend von Soldaten vorgenommen wurden, während das Foreign Office den Großteil seiner Mitarbeiter frühzeitig in Sicherheit gebracht habe. Wallace sagte in einem Interview, ihm sei bereits im Juli, „nach dem Fall Herats“, klar gewesen, dass das „Spiel aus“ sei. Er habe damals auch auf eine Beschleunigung der Evakuierungen im Foreign Office gedrungen. Dort wird dies schon deshalb bestritten, weil Herat nicht im Juli, sondern erst am 12. August in die Hände der Taliban fiel. Raab, der gerade durch die Nachbarländer Afghanistans reist, widersprach Wallace´ Vorwurf. „Ben und ich haben die ganze Zeit dieselben Einschätzungen vorgenommen, bis zu einem sehr späten Zeitpunkt“, sagte er in Qatar.
General kritisiert Raab
Zur Belastung ist für Raab ein hausinterner Bericht geworden, der in dieser Woche durchgestochen wurde. In diesem „Principal Risk Report“ wurde schon am 22. Juli, drei Wochen vor dem Fall Kabuls, gewarnt, dass „rasche Taliban-Vorstöße zum Fall von Städten führen könnten“ und sie schnell an die Macht zurückbringen könnten. Raab spielte die Bedeutung des Papiers herunter, das nur „mögliche Risiken“ erörtert hätte und, anders als die Geheimdienstdossiers, keine Arbeitsgrundlage gewesen sei.
Dass Raab gleichwohl frühzeitig gewarnt war, findet auch der frühere Armeechef Richard Dannatt. Er hatte im Juli mit 44 Armeeangehörigen in einen offenen Brief für beschleunigte Evakuierungen geworben. „Die Antwort war sehr enttäuschend“, sagte Dannat, „und was Dominic Raab angeht, kann ich nur den Kopf schütteln, wie Leute nicht Verteidigungsfähiges verteidigen.“ Dannatt nimmt Raab vor allem übel, dass der sich kritisch über den gesamten Einsatz in Afghanistan geäußert hatte. Es habe in Großbritannien an „Realismus“ über die Möglichkeiten von Nation-Building gefehlt, hatte Raab, der erst seit zwei Jahren im Amt ist, gesagt. Führende Generäle wie Dannatt hatten die Mission auch in ihrer politischen Ausrichtung viele Jahre lang verteidigt. Am Mittwoch wiederholte Raab seine Kritik an den Einsatzzielen: „Ich bin sicher, dass auch Lord Dannatt darüber nachdenken sollte, bedenkt man seine jahrelange Rolle.“
Johnson versuchte in seiner Rede vor den Soldaten, den Konflikt zu entschärfen, indem er den Geheimdienstberichten gewissermaßen Vielschichtigkeit bescheinigte. „Es war seit vielen Monaten klar, dass die Situation sich sehr schnell verändern könnte, und das war auch Teil der Geheimdienstberichte. Wie Sie wissen, gab es auch Einschätzungen, dass die Afghanische Nationalarmee länger aushalten würde.“ Im nächsten Satz stellte er sich dann aber, nach Meinung vieler, hinter Wallace: „Aus der Logik heraus konnte man aber sehen, was passieren würde.“