Jo Swinson : Gegen Boris und gegen den Brexit
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Erste Wahl der liberalen urbanen Schichten: Jo Swinson Bild: Reuters
Demokratie-Verächterin oder glaubwürdige Kämpferin? Jo Swinson, die Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten, verfügt über ein vielseitiges politisches Profil. Eines ist sie dabei sicherlich nicht – die Quotenfrau.
Seit Jo Swinson im Juli die Führung der Liberaldemokraten übernommen hat, geht es mit ihnen bergauf. Fast täglich wechseln neue Abgeordnete auf die Fraktionsbank der „Libdems“, mal Labour-Leute, mal Tories, mal Unabhängige. Das ist nicht allein Swinsons Verdienst; es sind auch die Zeitläufte, die der Partei gerade Wind in die Segel blasen. Aber Swinson scheint die frische Brise auf ideale Weise zu verkörpern. Sie ist jung, weiblich und bringt einen engagierten, emotionalen Ton in die Debatte. Anders als Labour-Leader Jeremy Corbyn lässt sie niemanden rätseln, wo sie und ihre Partei stehen: Sie hält den Brexit für eine Katastrophe und sagt ganz offen, dass sie das Ergebnis des EU-Referendums von 2016 bekämpft.
In den Augen von Brexiteers ist sie damit eine Demokratie-Verächterin, aber für die Remainer gehört sie zu den wenigen glaubwürdigen und verlässlichen Parteiführern. Zugleich vertritt sie ein gemäßigt sozialdemokratisches Programm mit starken „grünen“ Akzenten, womit sie sich ebenfalls von Corbyn abhebt. Die erst 39 Jahre alte Swinson wird so immer mehr zur ersten Wahl der liberalen urbanen Schichten, zu einer Art britischer Annalena Baerbock.
Konservative Rebellin
Geboren wurde Joanne Kate Swinson 1980 in eine Glasgower Mittelschichtfamilie, und auch ihre Schulausbildung absolvierte sie in Schottland. Nach einem Management-Studium an der London School of Economics arbeitete sie in der Marketing- und Kommunikationsbranche im Norden Englands. Schon mit 21 Jahren trat sie zum ersten Mal zu Unterhauswahlen an. Vier Jahre später gelang ihr der Sprung ins Unterhaus, wo sie sich einige Jahre lang das „Baby of the House“ nennen lassen durfte. Als die Libdems 2010 eine Koalition mit den Konservativen unter David Cameron bildeten, arbeitete sie als „Private Secretary“ im Büro von Wirtschaftsminister Vince Cable und danach für Nick Clegg, den stellvertretenden Premierminister, bevor sie einen Staatssekretärsposten übernahm.
Die Erfahrungen in der Nähe der beiden Männer, die einige Jahre lang die Partei führten, nutzten ihr beim Aufstieg. Geholfen hat aber auch ihr eigensinniges politisches Profil. Sie ist respektiert in den linken Kreisen der Partei, die Umwelt- und Klimaschutz großschreiben und das Rebellische an ihr mögen, etwa dass sie – ein Novum im Unterhaus – eine Rede mit ihrem neugeborenen Baby auf dem Arm gehalten hat. Verankert ist Swinson aber eher im liberal-konservativen Flügel. Sie ist wirtschaftsfreundlich, steht Arbeitsmarktregulierungen kritisch gegenüber – und auch der sogenannten positiven Diskriminierung.
Frauen sollten weniger nach dem Staat rufen, sondern die Gleichberechtigung in der Arbeit und zu Hause durchsetzen, findet sie. Auf einem Parteitag erschien Swinson mal mit einem T-Shirt, auf dem „Ich bin keine Quotenfrau“ stand. Auch im Urwahlkampf um den Parteivorsitz betonte sie, nicht ihres Geschlechts wegen gewinnen zu wollen, sondern als bester Kandidat.