Post-Brexit-Konflikt : Die Briten und die EU sitzen im alten Graben
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Mitglieder der britischen Regierung am Dienstag in London Bild: via REUTERS
Vor den Gesprächen über das Nordirland-Protokoll hagelt es Drohungen auf beiden Seiten. Ob London wirklich einseitige Maßnahmen ergreift, ist offen. Einige Tories drohen der Regierung offen mit Rebellion.
Wenn die britische Außenministerin Liz Truss an diesem Donnerstag mit EU-Unterhändler Maros Sefcovic die Post-Brexit-Gespräche wieder aufnimmt, wird vor Drohkulissen verhandelt, die an unerfreuliche Zeiten erinnern. Nachdem sich der Konflikt um das „Nordirlandprotokoll“ während des Ukraine-Kriegs entschärft hatte, stehen die beiden Parteien jetzt wieder da, wo sie sich im vergangenen Jahr eingegraben hatten. London droht mit einseitiger Aufkündigung des Protokolls, während Brüssel Vergeltungsmaßnahmen ankündigt und einen Handelskrieg nicht ausschließt.
Am Dienstagabend feuerte Truss eine weitere Breitseite Richtung Brüssel. Die aktuellen Vorschläge der EU würden „die wahren Probleme in Nordirland nicht angehen“ und „in einigen Fällen sogar einen Rückschritt bedeuten“, sagte sie. Die Kontrollen an der Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien hätten zu steigenden Preisen und einer „schweren Störung des Handels“ geführt. Gleichzeitig unterlägen die Menschen in Nordirland anderen Gesetzen und Steuerrichtlinien als ihre britischen Landsleute, weshalb in Belfast keine Regierung mehr existiere und der Frieden in Nordirland bedroht sei. Würde keine einvernehmliche Lösung der Probleme gefunden, „scheut die britische Regierung nicht vor Maßnahmen zurück, um die Lage in Nordirland zu stabilisieren”, sagte Truss.
Biden hat Johnson gewarnt
Laut eines Zeitungsberichts hat sie einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der die Regeln des Nordirlandprotokolls überschreiben und die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs aushebeln würde. Das wurde bisher weder bestätigt noch dementiert. Angeblich machte sich aber eine Delegation auf den Weg nach Washington, um die dortige Regierung mit den Plänen vertraut zu machen. Präsident Joe Biden hatte Johnson wiederholt gewarnt, den Brexit-Vertrag zu torpedieren, was die Regierung in London nicht zuletzt um den angestrebten Freihandelsvertrag mit Amerika fürchten lässt. Laut Zeitungsberichten soll der völkerrechtlich fragwürdige Gesetzentwurf schon am Dienstag ins Parlament eingebracht werden. Ob es wirklich dazu kommt, dürfte allerdings nicht nur vom Gespräch mit Sefcovic abhängen, sondern von parteiinternen Kalkülen.
Im Kabinett sollen mindestens zwei einflussreiche Minister – Schatzkanzler Rishi Sunak und Sonderminister Michael Gove – Front gegen Truss´ Initiative machen. In der Tory-Fraktion haben sich erste Abgeordnete schon öffentlich entrüstet gezeigt und eine „Rebellion“ angekündigt. Die frühere Premierministerin Theresa May sagte, Johnson müsse genau überlegen, „was ein solcher Vorstoß über das Vereinigte Königreich und dessen Bereitschaft, Verträge zu achten, aussagen würde“. Selbst wenn sich die Außenministerin im Kabinett und im Unterhaus – mit Johnsons Unterstützung – durchsetzen würde, bliebe das Schicksal des Gesetzes offen. Es würde spätestens im Oberhaus „zermalmt“ werden, sagte ein Tory voraus.
Truss´ harsche Rhetorik folgte auf Warnungen verschiedener EU-Vertreter, darunter auch Olaf Scholz. Der Bundeskanzler forderte Johnson auf, das Austrittsabkommen, das der selber unterzeichnet habe, weder zu brechen noch abzuändern. Der irische Ministerpräsident Micheál Martin warnte vor einer Destabilisierung des nordirischen Friedensprozesses, während der belgische Premierminister Alexander De Croo eine knappe Aufforderung an Johnson richtete: „Fassen Sie das nicht an!“