Doch wieder Brexit-Gespräche : Sie verhandeln auf der roten Linie
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Der britische Premierminister Boris Johnson in 10 Downing Street Bild: AFP
London und Brüssel verhandeln nun doch weiter über eine künftige Partnerschaft. Aber reichen drei Wochen mehr Zeit aus, um die Gräben zu überwinden? Fest steht: EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat wenig Spielraum.
Am Donnerstagnachmittag brach Michel Barnier mit großer Delegation nach London auf. Nachdem sich die britische Regierung am Mittwochabend bereit erklärt hatte, die Verhandlungen über die künftige Partnerschaft fortzusetzen, war keine Zeit mehr zu verlieren. Er brauche jetzt „ein, zwei, vielleicht sogar drei Wochen Zeit“ für intensive Gespräche, so wurde der EU-Verhandlungsführer aus einer Sitzung mit den Fraktionsvorsitzenden im Europäischen Parlament zitiert, vor seiner Abreise.
Eigentlich hieß es bisher stets: Ende Oktober muss Schluss sein, damit das Parlament einen Vertrag mit dem Vereinigten Königreich über die künftigen Beziehungen ordnungsgemäß ratifizieren könne. In drei Wochen ist es dagegen schon Mitte November.
Doch bekam der Franzose am Donnerstag aus allen Fraktionen Unterstützung signalisiert: Wenn er die Zeit brauche, bekomme er sie auch. Parlamentspräsident David Sassoli wurde aufgefordert, die Spielräume im Sitzungskalender auszuloten. Intern heißt es schon seit längerem, dass man zwei Wochen Zeit gewinne, wenn die Mitgliedstaaten und Abgeordneten darauf verzichten, dass ein Abkommen erst in alle 22 Amtssprachen übersetzt wird.
Kein schneller Abschluss in Sicht
Das Arbeitsprogramm, das Barnier und sein britisches Gegenüber David Frost am Mittwoch vereinbart haben, deutet nicht auf einen schnellen Abschluss der Gespräche hin. Zwar sollen die elf thematisch abgegrenzten Arbeitsgruppen parallel tagen, und das täglich, auch an Wochenenden. Doch beginnt jetzt überhaupt erst die Arbeit an einem gemeinsamen Textentwurf.
„Diese nächste und finale Phase der Verhandlungen wird im Prinzip auf Grundlage der Rechtstexte jeder Seite geführt, bis ein gemeinsamer Ansatz gefunden ist“, heißt es vielsagend in dem Papier der Verhandlungsführer. Sie wollen ein Sekretariat mit Beamten und Juristen einrichten, in dem die konsolidierten Textpassagen zusammengeführt werden.
Klar ist damit: Die Briten sind nicht bereit, ihre Änderungswünsche einfach in Barniers Blaupause einzufügen, wie es manche in Brüssel gehofft hatten. Das heißt aber auch, dass beide Seiten jetzt in wenigen Wochen leisten müssen, wofür sie beim Austrittsabkommen monatelang Zeit hatten. Da gab es sehr früh eine Textfassung in drei Farben: Grün für einen Konsens, Gelb für eine politische Einigung, die noch technischer Klärungen bedurfte, und Weiß für alles, was noch offen war. Mit jeder Runde nahm dann die Zahl der weißen Passagen ab.
Besser kein Deal als Dumping-Wettbewerb
Zwar sind die Verhandlungsteams schon auf mehreren Feldern so weit gekommen, dass die „Umrisse eines Abkommens“ sichtbar werden, wie sie selbst sagen. Doch sind solche Kompromisse erst belastbar, wenn sie schriftlich fixiert werden.
Die politisch schwierigsten Punkte sind immer noch dieselben wie am Anfang. Die EU besteht auf Garantien dafür, dass London im Gegenzug für seinen Zugang zum Binnenmarkt bestimmte EU-Standards einhält, im Umwelt- und Sozialrecht ebenso wie bei Subventionen. Wo das nicht geschieht, soll es einen belastbaren Mechanismus geben, um Konflikte beizulegen. Hier hat Barnier nur wenig Spielraum. Viele Staaten würden eher auf ein Abkommen verzichten, als ihre Unternehmen einem Dumping-Wettbewerb auszusetzen.