Nach Brexit-Votum : London fürchtet ein Goodbye der Schotten
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Kritisiert Theresa May: Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon Bild: Reuters
Entscheidet sich Schottland bald für die EU und gegen Großbritannien? In London hat man Angst vor einem weiteren Unabhängigkeitsreferendum. Gedroht wird damit schon länger – hätte es diesmal bessere Aussichten?
Ruft Schottland ein neues Unabhängigkeitsreferendum aus, wenn Britannien in wenigen Wochen den Austrittsprozess gemäß Artikel 50 des EU-Vertrages in Gang setzt? Das wird angeblich in Downing Street befürchtet, wie die Zeitung „Times“ mit Bezug auf Regierungsquellen meldete. Seither steigt die Nervosität in London; selbst das Pfund sackte kurz ein. Schon vor dem EU-Referendum hatte die Schottische Nationalpartei SNP angekündigt, sich gegen einen Ausstieg aus der EU zu wehren.
Als die Briten dann im Juni für den Brexit stimmten, brachte die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, offiziell ein neues Unabhängigkeitsreferendum ins Spiel. Seither verschärft sie ihre Drohungen in feinen Dosen. Sollten Schottlands Interessen im Ausstiegsprozess nicht berücksichtigt werden, sei eine Volksabstimmung „wahrscheinlich“, hieß es zunächst. Bald wurde sie „sehr wahrscheinlich“, schließlich „noch wahrscheinlicher“. Die roten Linien, die Sturgeon dabei zieht, variieren: vom Verbleib Schottlands in der EU über die Mitgliedschaft im Binnenmarkt bis zu undefinierten Sonderregelungen im Rahmen eines harten Brexits.
Die Konsultationen Edinburghs und Londons über die Ziele der Ausstiegsverhandlungen werden von Sturgeon mit wachsendem Unmut kommentiert. Am Dienstag warf sie Premierministerin Theresa May „Kompromisslosigkeit“ und einen „selbstherrlichen“ Umgang mit den schottischen Forderungen vor.
Wie ist der Rückhalt in Schottland?
Bislang glaubten nur wenige, dass Sturgeon Ernst machen werde. Umfragen in Schottland zeigen seit Monaten, dass eine Mehrheit gegen ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum ist und im Fall der Fälle abermals für die Einheit des Königreichs stimmen würde. Die Sorge vor dem Brexit scheint geringer zu sein als die vor einem Austritt aus dem Königreich. Insbesondere der Verfall des Ölpreises führt den Schotten vor Augen, wie zerbrechlich die SNP-Prognose war, als selbständiges - ölabhängiges - Land zu prosperieren.
Nun befürchten manche, dass Sturgeon sich mit ihren ständigen Drohungen in eine Ecke manövriert hat, aus der sie nur noch mit einem Befreiungsschlag herausfindet. Hinzu kommt, dass sie und ihre erfolgsverwöhnte SNP sinkende Zustimmungswerte registrieren. Das könnte die Neigung erhöhen, mit einem Referendum von den Schwächen des Regierungsalltags abzulenken. Bislang ist nicht einmal klar, ob May einem bindenden Votum zustimmen würde. Sie argumentiert, das sich die Schotten im September 2014 für den Verbleib im Königreich ausgesprochen und damit bekundet hätten, nationale Entscheidungen mitzutragen.
Ein Nein zu einem neuen Referendum könnte allerdings die Stimmung in Schottland zu Londons Ungunsten kippen, befürchtet man in Downing Street. Überlegt wird nun offenbar, eine Zustimmung vom Zeitpunkt des Referendums abhängig zu machen. Der Wunschtermin der Referendumsbefürworter im Herbst 2018 würde die Ausstiegsverhandlungen schwer belasten: Der restliche Teil der EU könnte kaum über ein künftiges Verhältnis zum Königreich verhandeln, wenn dessen Form und Größe ungewiss ist. Laut „Times“ könnte May einen Termin im Jahr 2019 akzeptieren. Nach dem vollzogenen Brexit wäre Schottland kein Teil der EU mehr und blickte langwierigen Beitrittsverhandlungen entgegen.