Bolivien : Ein wichtiges Wort fehlt
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Präsident Carlos Mesa löst mit seinem überraschenden Rücktritt eine schwere Krise Bolivien aus. Das wirtschaftlich zerrüttete Land wird ohnehin von sozialen Konflikten erschüttert. „Unwiderruflich" ist sein Entschluß aber wohl nicht.
Mit der überraschenden Ankündigung seines Rücktritts hat der bolivianische Präsident Carlos Mesa eine neue schwere Krise in dem von Sozialkonflikten erschütterten und wirtschaftlich zerrütteten Staat heraufbeschworen.
Mesa reagierte auf eine neuerliche Welle von Straßenblockaden, mit denen die Verabschiedung eines Gesetzes erzwungen werden soll, das den im Land tätigen internationalen Energiefirmen Abgaben bis zu 50 Prozent auf das im Land geförderte Erdgas und Erdöl auferlegt.
"Karneval von Verrückten"
Überdies fordern Demonstranten die sofortige Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Ein radikalisierter Teil der Bewohner von El Alto, der Schwesterstadt von La Paz auf der Hochebene, dem Altiplano, will den für die Wasserversorgung zuständigen französischen Konzern Suez aus dem Land treiben.
Einen "Karneval von Verrückten" nannte Mesa in seiner in ungewöhnlich scharfem Ton gehaltenen Fernsehansprache die Protestaktionen. Das Weiterregieren sei ihm unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht möglich.
"Ich bin nicht bereit zu töten"
Er werde allerdings in keinem Fall Gewalt anwenden lassen, um die Blockaden aufzulösen. "Ich bin nicht bereit zu töten", sagte er und bekräftigte, daß er weder die Polizei noch die Armee einsetzen werde.
Sein Amtsvorgänger Gonzalo Sanchez de Lozada hatte im Okober 2003 in einer ähnlichen Situation das Militär mobilisiert. Bei der Niederschlagung der Unruhen kamen Dutzende Personen um, Sanchez de Lozada mußte sein Amt aufgeben und floh in die Vereinigten Staaten.
Keine Erhöhung der Abgaben
An Mesas Rücktrittsbekundung fiel auf, daß in ihr das Wort "unwiderruflich" fehlte. Bei zahlreichen spontanen Kundgebungen wurde er auch sogleich zum Verbleib im Amt aufgefordert. Hinter der dramatischen Ankündigung wurde sichtbar, daß sich der Konflikt zwischen ihm und seinem Hauptwidersacher, dem Kokabauern-Anführer Evo Morales, auf den möglicherweise entscheidenden Zweikampf zuspitzen könnte.
Mesa sprach in seiner Rede Morales direkt an und bekundete, daß er die Erhöhung der Abgaben für die Energiefirmen keineswegs billigen werde. Das werde die für das Land dringend notwendigen ausländischen Investititonen verhindern.
Der Weg führt über Neuwahlen
Morales bezeichnete in einer Retourkutsche die Rücktrittsdrohung als "Erpressung". Sie sei ein Zeichen für die "Unfähigkeit" Mesas, die Schwierigkeiten des Landes zu lösen. Vieles spricht dafür, daß Morales den Zeitpunkt für gekommen sieht, den Präsidententhron zu besteigen.
Der Weg dorthin führt nur über Neuwahlen. Ziel der gegenwärtigen Protestwelle ist es offensichtlich, die Regierung des parteilosen Mesa derart zu destabilisieren, daß nur noch eine vorgezogene Wahl eine Lösung für die verfahrene Lage bringen kann.
Mit geringem Aufwand den Zugang versperren
Für eine geplante Kampagne spricht jedenfalls, daß zwei unterschiedliche Konflikte zur gleichen Zeit in jeweils strategisch bedeutsamen Gebieten ausgetragen werden. Im Koka-Anbaugebiet Chapare, in dem Morales unangefochtener Anführer ist, wird die Straße zwischen Cochabamba und Santa Cruz, eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes, blockiert. Dort zielen die Demonstrationen hauptsächlich auf die Verabschiedung des Energiegesetzes.