Besuch beim Bataillon „Kiew 1“ : Keine Frauen, nur Soldaten
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Freiwillig im Krieg: Igor wollte gegen Korruption kämpfen, nun zieht er gegen Separatisten zu Felde. Bild: Alexander Tetschinski
Ein Besuch bei freiwilligen Kämpfern, die im Osten der Ukraine den immer aussichtsloser erscheinenden Kampf gegen die Separatisten und deren russische Helfer führen.
Sanitäter, melden!“ Igor Gentjuk, Zugführer beim Bataillon Kiew 1, hat den Knopf des Funkgeräts losgelassen, wartet auf Antwort. Es ist Nacht in Slawjansk, am nordwestlichen Ende des umkämpften ostukrainischen Industriegebiets Donbass – und die Nachrichten sind schlecht. Die Russen rücken vor. Der Flughafen von Luhansk ist gefallen, und bei Ilowajsk ist das Bataillon „Donbass“ immer noch im Kessel. Fotos von zerschossenen ukrainischen Kolonnen, von verkohlten Toten schwirren durchs Netz. Unten an der Küste haben Kämpfer aus Russland ist vor wenigen Tagen Nowoasowsk genommen, und jetzt wartet jeder auf den entscheidenden russischen Vorstoß in Richtung Krim.
„Was willst Du?“ Eine Frauenstimme schnarrt knapp und kalt durch die Dunkelheit. Igor drückt den Knopf: „Da sind so Leute. Reporter. Die wollen mit dir reden. Sie sagen, sie wollen auch mit einer Frau reden“. – „Sag ihnen, hier gibt es keine Frau“ sagt die Frau. Igor lächelt: „Das ist Oksana. Auf dem Majdan war sie unsere Sanitäterin, und jetzt ist sie hier, im Bataillon. Der Engel der Barrikaden.“ Er grinst.
Wichtige Stütze im Kampf gegen Russland
Das Bataillon Kiew 1, in dem Igor und Oksana kämpfen, ist einer der wichtigsten jener Freiwilligenverbände, die heute die Hauptlast im Krieg der Ukraine gegen prorussische Kämpfer im Osten des Landes tragen. Viele dieser Einheiten sind spontane Gründungen, erwachsen aus den mit Knüppeln und Holzschilden bewaffneten „Hundertschaften“ des Kiewer „Majdan“, dem „Selbstschutz“ der proeuropäischen Demonstranten während der Revolution vom vergangenen Winter. Manche Einheiten, etwa die Bataillone „Dnipro 1“ oder „Dnipro 2“, sind von pro-ukrainischen „Oligarchen“ gegründet und finanziert worden, etwa dem Milliardär Ihor Kolomojskij aus Dnipropetrowsk. Andere wieder, etwa das Bataillon „Donbass“, das zuletzt besonders heftig im Feuer gestanden hat, besteht aus Bewohnern der Separatistenterritorien, die trotz ihrer Herkunft aus dem russophonen Landesteil gegen die Separatisten kämpfen. Rechtsradikal-rassistische Tendenzen, wie sie etwa im Bataillon „Asow“ zutage treten, sind nach Ansicht von Fachleuten wie dem Politologen Anton Schechowtsow, die Ausnahme.
Heute sehen sich diese Freiwilligenverbände als die wichtigste Stütze der westlich orientierten ukrainischen Regierung in ihrem Kampf gegen die Invasion aus Russland. Nikolaj Druschtschenko, der amtierende Kommandeur von „Kiew 1“, erklärt warum: Die Armee, die das Land eigentlich verteidigen sollte, ist nach seiner Überzeugung aus zwei Gründen völlig unfähig, ihre Aufgaben zu erfüllen. Erstens seien ihre Mittel in den Jahrzehnten der korrupten Oligarchenherrschaft vor der Revolution in den Taschen korrupter Generale und Politiker versickert. Noch wichtiger aber sei, dass ihre Führung dem alten Regime entstamme und deshalb heute, nach dessen Sturz im Februar, nicht kämpfen wolle. „Da sind echte Verräter darunter“, sagt der Bataillonsführer. „Den Leuten vom Majdan dagegen, denen muss man nicht erst Befehle geben. Die kämpfen von selbst.“