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Bericht über Kriegsverbrechen : Sicherheitskopie in Brüssel

Nader Nadery

Nader Nadery Bild: Getty Images

Nader Nadery, entlassener Kommissar der afghanischen Menschenrechtskommission, hat einen brisanten Bericht über Kriegsverbrechen verfasst. Nun muss er verhindern, dass dieser zensiert wird.

          3 Min.

          Nader Nadery hat nichts dem Zufall überlassen. Selbst wenn ihm etwas zustoßen sollte, was in Afghanistan leicht möglich ist, oder wenn seine Amtsnachfolgerin beschließen sollte, Teile seines explosiven Berichts zu schwärzen, werden am Ende wohl doch alle Details ans Licht kommen. Denn für diese Fälle hat Nadery eine Kopie seiner Dokumentation von Kriegsverbrechen bei einer Partnerorganisation in Brüssel hinterlegt. „Ihren Namen kann ich nicht nennen, weil ich sie nicht in Schwierigkeiten bringen will“, sagt Nadery, einer der profiliertesten Menschenrechtler des Landes. Als er diese Woche nach Berlin reiste, um auf einer Konferenz des Aspen Institutes und der Konrad-Adenauer-Stiftung zu sprechen, war er noch als „Kommissar der Afghanischen Menschenrechtskommission“ angekündigt. Ob er das noch ist, weiß Nadery selbst nicht genau. „Ich wurde nicht offiziell benachrichtigt“, sagt er.

          Friederike Böge
          Politische Korrespondentin für die Türkei, Iran, Afghanistan und Pakistan mit Sitz in Ankara.

          Kurz vor Weihnachten ließ Präsident Hamid Karzai verkünden, Naderys Amtszeit sei abgelaufen und werde nicht verlängert. Zwei Tage vorher hatte der Präsident sich mit seinen beiden Stellvertretern und anderen engen Vertrauten auf einen Rauswurf des lästigen Kritikers verständigt. Dabei sollen Kraftausdrücke gefallen sein. Lokale Medien berichteten, ein Teilnehmer habe sich ausgemalt, wie er Nadery mit einer Kalaschnikow traktiert.

          Bündnis gegen die Versöhnungspolitik

          Die Entlassung kam nicht unerwartet. Nadery arbeitet seit Jahren an einer Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die zwischen 1978 und 2001 in Afghanistan begangen wurden. Im Dezember sollten die Ergebnisse veröffentlicht werden. Politisch brisant ist der Bericht deshalb, weil zahlreiche Regierungsvertreter darin als Täter genannt werden dürften. Zum Beispiel Vizepräsident Mohammad Qasim Fahim, der in einem unveröffentlichten UN-Bericht mit einem Massaker in Kabul in Verbindung gebracht wird. Nicht zufällig ist wohl nun eine Vertraute Fahims als Nachfolgerin Naderys im Gespräch. Auch Abdul Karim Khalili, der zweite Vizepräsident des Landes, soll in den neunziger Jahren an ethnisch motivierter Gewalt im Kampf um Kabul beteiligt gewesen sein. Und Raschid Dostum, der Stabschef des afghanischen Militärs soll 2001 ein Massaker an Hunderten Taliban-Gefangenen verübt haben. „Ich hatte gehofft, dass der Bericht mein letzter Beitrag sein würde, denn mir war klar, dass ich nach der Veröffentlichung ohnehin nicht länger Mitglied der Kommission hätte bleiben dürfen“, sagt Nadery.

          Neu sind die Anschuldigungen aus den Zeiten des Bürgerkriegs zwar nicht. Doch sie kommen den Beschuldigten reichlich ungelegen. Längst diskreditierte Männer wie Fahim und Dostum, die sich gern als Führer der ethnischen Minderheiten präsentieren, arbeiten an einem politischen Comeback. Sie schüren die Angst vor einer Verhandlungslösung mit den Taliban, um sich als Alternative zur Regierung Karzai zu empfehlen. In dieser Mission waren Dostum und zwei weitere Führer der Nordallianz im Dunstkreis der Konferenz in Berlin, wo Teilnehmer Nadery ihnen ausgerechnet beim Frühstück in seinem Hotel begegnen durfte. Der Besuch der Nordallianz-Führer ging auf Initiative von drei amerikanischen Abgeordneten der Republikaner zurück. In Kabul und Washington hatte das Unmut hervorgerufen, denn es ging um ein Bündnis gegen die Versöhnungspolitik der Regierung Karzai, dem Dostum und seine Verbündeten vorwerfen, die ethnischen Minderheiten isolieren zu wollen.

          Ohne gepanzertes Fahrzeug und andere Sicherheitsmaßnahmen

          Genau dagegen wendet sich Nadery: Eine Diskussion über Versöhnung mit den Taliban aus ethnischen Gründen zu verwehren, werde dem Land nicht weiterhelfen, sagt er. „Wenn Leute sagen, wir wollen keine Versöhnung mit den Taliban, weil sie uns Gewalt angetan haben, dann wird der Bericht ihnen deutlich machen, dass Mitglieder ihrer eigenen Gruppe anderen ebenfalls Gewalt angetan haben und dass auch die Gemeinschaften, aus denen die Taliban stammen, Leid erfahren haben.“

          Was so harmlos klingt, dürfte den Menschenrechtler in Afghanistan in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. So wie 2007, als die amerikanische Organisation Human Rights Watch einen ähnlichen Bericht veröffentlichte und die darin genannten Mudschahedin-Führer ihre Wut an der afghanischen Menschenrechtskommission ausließen. „Ich wurde von der Regierung, den UN und der Nato informiert, dass mein Name auf einer Todesliste von Warlords stand“, sagt Nadery. Für drei Tage verschwanden er und seine Familie in einem Unterschlupf der UN. Diesmal wird er ohne gepanzertes Fahrzeug und andere Sicherheitsmaßnahmen auskommen müssen, die ihm nach dem Ausscheiden aus der Menschenrechtskommission nicht mehr zustehen.

          In schlechter Erinnerung

          Die Bemühungen des Menschenrechtlers um Aufklärung der düsteren Vergangenheit wurden von den westlichen Botschaften in Kabul zuletzt nur noch halbherzig unterstützt. Manch einem Diplomaten schien der Zeitpunkt ungünstig, nun, da es erstmals Fortschritte in Richtung Verhandlungen mit den Taliban gibt. Nadery sieht das anders: „Gerade in diesem Kontext kann der Bericht einen Versöhnungsprozess fördern, weil er den Leuten zeigt, dass die Gewalt nicht auf ihre ethnische Gruppe oder Region begrenzt war.“

          Ob und wann er veröffentlicht wird, ob in Kabul oder in Brüssel, das ist vorerst noch nicht abzusehen. Nader Nadery räumt derweil seinen Schreibtisch und plant einen Umzug zur Stiftung für Freie und Faire Wahlen in Afghanistan (Fefa), die er selbst 2005 gegründet hat. Auch hier dürfte er sich unbeliebt machen. Denn 2014 ist Präsidentenwahl, und Karzai hat die Fefa noch von 2009 in schlechter Erinnerung, als sie bei der Aufdeckung von Wahlbetrug half.

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