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Proteste in Belarus : An einem Tisch mit den Gegnern

Die Proteste gehen weiter: Demonstranten am 11. Oktober 2020 in Minsk Bild: Reuters

Lukaschenka hat im Untersuchungsgefängnis des KGB zwölf seiner politischen Gefangenen getroffen – angeblich um sie anzuhören. Sein wahres Anliegen dürfte ein anderes sein.

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          Am Samstag tat sich im Untersuchungsgefängnis des belarussischen Geheimdiensts KGB zu Minsk Erstaunliches: Machthaber Alexandr Lukaschenka besuchte eine Auswahl seiner politischen Gefangenen. Als solche bezeichnet das Regime die Häftlinge selbstverständlich nicht. Doch war der bunte Strauß strafrechtlicher Vorwürfe, unter denen Lukaschenkas Gegner weggesperrt wurden, vor und nach den Präsidentenwahlen Anfang August stets dann zur Hand, wenn es dem Regime passte. Anwälte und Menschenrechtsschützer haben keinen Zweifel am wahren Status der Gefangenen, die Lukaschenka nun vorführte – und damit nicht nur die Geworfenheit seiner Opfer, sondern auch seine eigene Verwundbarkeit ausdrückte.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS in Moskau.

          Mindestens zwölf Personen saßen da mit Lukaschenka um einen ovalen Holztisch. Dessen Mitte zierte ein Blumengesteck. Vor den Häftlingen standen Namensschilder. Laut den Bildern, die von dem angeblich viereinhalb Stunden dauernden Treffen bekannt wurden, waren etliche prominente Gefangene zu Lukaschenka geholt worden. So der frühere Bankier Viktor Babariko. Er galt bis zu seiner Festnahme im Juni als Lukaschenkas gefährlichster Rivale um die Präsidentschaft.

          Babarikos Kandidatur wurde verhindert. Auch dessen Sohn Eduard saß am Tisch; er hatte den Wahlkampf seines Vaters geleitet und wurde mit ihm festgenommen. Eduard Babarikos Platz im Wahlkampfstab nahm die bis dahin vor allem Musikern bekannte Marija Kolesnikowa ein: Sie Flötistin und Kulturmanagerin entfachte als Mitglied eines Frauen-Trios um Swetlana Tichanowskaja eine beispiellose Aufbruchsbegeisterung. Kolesnikowa sitzt seit einem Monat selbst in Untersuchungshaft, aber nicht in Minsk; sie war auch nicht bei dem Treffen mit Lukaschenka dabei.

          Lukaschenka will über die Verfassungsreform sprechen

          Hingegen zeigten die Bilder den Politikberater Vitali Shkliarov, der seit Ende Juli beim KGB inhaftiert ist; jüngst hatte Shkliarovs Frau, eine amerikanische Diplomatin, Sorgen um die körperliche und geistige Gesundheit ihres in der Haft am Coronavirus erkrankten Mann in einem offenen Brief ausgedrückt. Das offizielle Video zeigt den früher bärtigen und fröhlichen Shkliarov glatt rasiert (wozu er nach eigener Schilderung gezwungen wurde) mit skeptischem Blick in die Kamera. Einzige Frau am Tisch war die Juristin Lilija Wlassowa, ein Mitglied des Präsidiums von Tichanowskajas Koordinationsrat, als dessen Mitglied auch der ebenfalls inhaftierte Anwalt Maxim Snak dabei war.

          Es ging Lukaschenka bei dem Treffen angeblich darum, „die Meinung aller anzuhören“, wie sein Pressestab mitteilte. Offenkundig will Lukaschenka über eine Verfassungsreform sprechen. Denn deren Bedeutung hatte auch der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen der beiden im September hervorgehoben. „Die Hälfte hier, so verstehe ich es, sind Juristen und verstehen bestens, dass du die Verfassung nicht auf der Straße schreibst“, sagte Lukaschenka den Gefangenen. Das soll heißen, dass die Proteste enden sollten, dann werde man über eine Reform reden. Details des Gesprächs blieben unklar, wobei man die Darstellung des Regimes bezweifeln muss, dass die „Vertraulichkeit die gemeinsame Entscheidung der Gesprächsteilnehmer“ sei.

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